: Abschied vom eigenen Weg?
Auf den Seychellen wurde der touristische Ausbau bislang begrenzt. Wirtschaftlicher Druck von innen und außen könnte eine verstärkte touristische Erschließung bewirken ■ Von Christian Schmicke
Die abgenudelten Klischees vom Paradies feiern auf den Seychellen fröhliche Urständ: Strände wie aus der Bacardi-Werbung, immer warmes Klima und hügelige Landschaften. Tropen pur. Die üppige Vegetation der Inseln hat schon die Kolonisatoren des 18. und 19. Jahrhunderts zu Phantasien vom Garten Eden bewegt.
Doch die Seychellen sind nicht nur schön. Sie sind auch Schauplatz einer Entwicklung, bei der noch nicht entschieden ist, ob am Ende die Vision einer umweltpolitisch und sozial vertretbaren touristischen Entwicklung oder der sattsam bekannte Alptraum touristischer Eroberung in den Vordergrund tritt.
Auf 30 der insgesamt 115 Inseln des Seychellen-Archipels leben heute etwa 75.000 Menschen. Ein multikulturelles Gemisch, Ergebnis der kurzen Siedlungsgeschichte des Landes. Menschen aus allen Teilen Afrikas, von den ersten französischen Siedlern als Sklaven zur Bewirtschaftung der Plantagen herangeschleppt, Kaufleute indischer Abstammung und chinesische EinwandererInnen ergänzen zusammen mit Nachfahren europäischer Kolonisatoren das Völkergemisch. Zu den Einwohnern gesellen sich derzeit etwa 120.000 Touristen pro Jahr, vor allem auf den Hauptinseln Mahé, Praslin und La Dique.
Die Natur ist das Hauptkapital der Inselökonomie. Bis vor 25 Jahren lebten die Seychellen hauptsächlich von Kopra und in bescheidenem Umfang vom Export von Zimt, Zimtöl, Kokosnüssen, Tee und gefrorenem Fisch. Heute stammen über 70 Prozent der Deviseneinnahmen aus dem Tourismus. Der soll dazu beitragen, das Außenhandelsdefizit auszugleichen.
Bei aller Attraktivität für die Tourismusindustrie konnten die bekannten Auswüchse touristischer Zentren auf den Seychellen bislang weitgehend vermieden werden. Dies ist ein Erfolg der umsichtigen Tourismuspolitik der amtierenden Regierung. Seit 1976 sind die Seychellen unabhängige Nation. Die jetzige Regierung hatte am 5. Juni 1977 eine Auslandsreise des damaligen Koalitionspartners und Präsidenten Manchem zu dessen Entmachtung genutzt und in einem unblutigen Staatsstreich ein sozialistisches System eingeführt. Präsident France- Albert René, der nach den Umwälzungen in Osteuropa selbst mit Hilfe einer Volksabstimmung eine neue pluralistische Verfassung durchsetzte, konnte sich 1993 in freien Wahlen erneut gegen den aus dem Exil zurückgekehrten James Manchem behaupten.
In der staatlich gelenkten Volkswirtschaft mit ihrer strengen Kontrolle von Preisen, Investitionen und Hotelkapazitäten blieben Gewinnerwartung und Investitionsfreude ausländischer Kapitalanleger naturgemäß begrenzt; und damit auch die Intensität touristischer Besiedelung. Immerhin stehen heute etwa 48 Prozent der Fläche unter Naturschutz, und grobe architektonische Fehlgriffe sind selbst auf der Hauptinsel Mahé die Ausnahme.
Eine stabile Währung, die seit nunmehr 20 Jahren etwa gleichbleibende Wechselkurse zu den wichtigsten Leitwährungen aufweist, verhinderte den Preisverfall. Im Gegensatz zu ähnlichen Zielgebieten konnten sich die Seychellen damit den Status eines kleinen, einigermaßen exklusiven Reisezieles erhalten.
Sind die Seychellen also die Verkörperung des glücklichen Inselstaates, der den Vereinnahmungstendenzen der Tourismusindustrie erfolgreich trotzt? Nicht ganz. Auch auf den Seychellen wächst der wirtschaftliche Druck, an dem der Versuch eines „anderen Weges“ scheitern könnte.
Von Investitionsgütern über Energie bis zu den Rohstoffen für die einheimische Bierproduktion muß der Inselstaat so ziemlich alles importieren. Hohe technologische Anforderungen für industrielle Massenfertigung und große agrarische Anbauflächen stehen nun mal nicht zur Verfügung. So ist selbst der verbreitete Baustoff Wellblech, aus dem bei normalen Seychellois-Behausungen Dächer und Wände gefertigt werden, „Made in Japan“. Hohe Importzölle zwischen 150 und 280 Prozent verteuern zwar die Einfuhr ausländischer Waren, können aber mangels Alternativen nur selten die einheimische Produktion ankurbeln.
Die Energiegewinnung des Landes basiert im wesentlichen auf fossilen Brennstoffen, die zu hohen Kosten ebenfalls importiert werden müssen. Auf Mahé und Praslin wird fast die gesamte Energie mittels Dieselgeneratoren erzeugt – angesichts der äquatorialen Lage nicht eben wegweisende Instrumente innovativer Energiegewinnung.
Und der Tourismus trägt zur Verschärfung der Problematik bei. Hotels der Vier- und Fünf-Sterne- Klasse verfügen ausnahmslos über Klimaanlagen. Mühelos übertreffen Hotelanlagen den Energiebedarf der benachbarten Dörfer und sorgen für eine zusätzliche Belastung der Handelsbilanz. Auch die Notwendigkeit des Imports von Materialien für Bau und Renovierung der Anlagen ist nicht unproblematisch. In nächster Zeit, so bemerkt das Fremdenverkehrsamt der Seychellen, stünden in einigen größeren Hotels umfangreiche Renovierungsarbeiten bevor. Auch die werden die Devisenbilanz nicht unbeeinflußt lassen. Für die Versorgung der Touristen, die für ihren Aufenthalt immerhin zwischen 4.000 bis 8.000 Mark auf den Tisch blättern, müssen Nahrungsmittel und Getränke importiert werden. Weder Tierhaltung noch Fischerei der Inseln können die Nachfrage aus eigener Kraft befriedigen. Da es schwierig ist, eigene wirtschaftliche Bereiche als Zulieferbetriebe für den Tourismus zu fördern, bleibt letztlich nur die negative Bilanz der Devisenausfuhr für die im Tourismus benötigten Luxusgüter. Hinzu kommt der durch den Fremdenverkehr notwendige Müllexport. Er verursacht hohe Kosten, auch wenn damit zweifelhafteren Entsorgungsmethoden begegnet werden kann.
Zur Zeit wächst der innere und äußere Druck auf die Politik der Seychellen. Die Besucherzahlen sind zwar weiterhin durch die Kontrolle der Bettenkapazitäten begrenzt, aber der derzeitige Stand von 120.000 Besuchern pro Jahr wird nicht mehr lange erhalten bleiben. Neue Bauvorhaben sind bereits in Vorbereitung. Angesichts der starken Abhängigkeit von touristischen Devisen erscheint es als unsicher, ob die ökologisch sinnvolle Begrenzung der Kapazitäten nicht allmählich kurzfristig orientiertem wirtschaftlichem Pragmatismus weichen wird. Ohnehin tendieren wirtschaftliche Reformen auf den Seychellen zu einer Lockerung der strengen Kontrollmechanismen gegenüber ausländischem Kapital.
Immer stärker bemühen sich mittlerweile auch Charterfluggesellschaften um Landerechte auf den Seychellen. In diesem Jahr wurde ein Wunsch der LTU, von Deutschland aus eine Flugverbindung mit Mahé aufzunehmen, abgelehnt. Die derzeitigen Flüge von Condor und Air Seychelles, so hieß es, genügten für die Ausschöpfung vorhandener Kapazitäten. Eine zusätzliche Verbindung würde lediglich Preiskämpfe anstacheln, bei der die einheimische Air Seychelles am Ende den kürzeren ziehen könnte.
Ob die bis jetzt klare Position der Regierung das letzte Wort in dieser Frage sein wird, bleibt abzuwarten. Die nächste Anfrage wird sicher nicht lange auf sich warten lassen.
Bei aller Skepsis, ob ein kleiner Inselstaat gegenüber Verhandlungspartnern, deren Umsätze das Bruttoinlandsprodukt der gesamten Nation übersteigen, dauerhaft einen eigenen Weg beschreiten kann, bleiben die Seychellen ein Hoffnungsschimmer in der touristischen Landschaft. Sie verfügen über viel intakte Natur, relativen Wohlstand und einen breiten gesellschaftlichen Konsens, der gegen den Ausverkauf des Landes gerichtet ist. Vielleicht können diese Potentiale die scheinbar unverrückbaren Gesetzmäßigkeiten touristischer Entwicklungswege in einigen Punkten durchbrechen.
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