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Das teuerste Stück Lakritz

■ Ein Rat des Berliner Bürgermeisterkandidaten Norbert Hähnel an die Erstsemester: Laßt euch vom Studium ablenken, aber paßt auf dabei!

Anders als die meisten taz-LeserInnen habe ich nie studiert, sondern einen anständigen Beruf erlernt: Offset-Drucker nämlich. Den übe ich zwar seit einigen Jahren nicht mehr aus, aber das ist ein Schicksal, das sicherlich viele von euch mit mir teilen werden – nach eurer Studentenzeit.

Jetzt hat es euch erst mal nach Berlin verschlagen, in die Stadt, in der ein ernsthaftes Arbeiten – mir zumindest – am schwersten fällt. Denn nirgendwo in Deutschland ist die Ablenkung größer. Ich selbst kam 1974 nach Berlin – das war die Zeit nach Heinrich Lübke und Rudi Dutschke, Jimi Hendrix war tot und Punk-Rock noch ungeboren. Die Haare waren lang und dafür die Röcke etwas kürzer. Staus gab es nur morgens und abends. Man hauste in einer Kommune. Damit sich die Eltern nicht erschreckten und der monatliche Scheck von Papi auch weiterhin gesichert war, nannte man das allerdings „Wohngemeinschaft“, auch wegen der teuren Miete und so ... Vor allem aber wurde nächtelang diskutiert, und dafür gab es sogenannte Studentenkneipen, in denen zottelige Wirte Bratkartoffeln und Studentenpizza servierten. Ein Studentenausweis war damals wirklich noch was wert. Wer keinen hatte, mußte sich mindestens einen Bart wachsen lassen. Die Kneipen befanden sich überwiegend in Schöneberg und Kreuzberg und hörten auf seltsame Namen wie „Meisengeige“, „Delirium“, „LSX im Hosianna“ oder „Habakuks Gartenlaube“.

Wir wohnten damals im Wedding und bevorzugten ein Kreuzberger Etablissement namens „Nulpe“. Dort stand ein alter Kanonenofen in der Ecke, auf dem die Gäste ihre mitgebrachten Doseneintöpfe aufwärmen konnten. Philosophiestudenten diskutierten die neuesten Schachzüge der Großmeister Boris Spasski und Bobby Fischer. Mathematiker lösten die letzten offenen Fragen der Weltrevolution mit dem Rechenschieber. Wem Bratkartoffeln zu fettig waren, der begab sich auf die Reise nach Charlottenburg ins „Terzo Mondo“. Unter einem riesigen Transparent, auf dem „Tod dem Faschismus“ stand, gab es ordentliche Portionen griechischer Küche zu echten Volkspreisen. Mit etwas Glück konnte man Kostas, dem Wirt, auch noch beim Singen lauschen – übrigens heute noch. Drogenkonsumenten und Liebhaber etwas lauterer Klänge zog es ins „Sound“ auf der Kurfürstenstraße. Hier erstand ich das teuerste Stück Lakritz meines Lebens, ein Gramm für zehn Mark.

Ja, so war das damals. Die meisten Läden existieren heute nicht mehr. Die „Nulpe“ heißt jetzt „Enzian“, liegt immer noch an der Yorkstraße und verfügt mittlerweile über eine Zentralheizung. Das „Terzo Mondo“ ist bis heute unverändert geblieben, bis auf das Tranparent, das hängt nicht mehr.

Geht mal hin! Und viel Spaß beim Studieren wünscht euer zukünftiger Bürgermeister.

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