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„Journalistischer Gag“

■ „WamS“ montierte „Berlin-Duell“

Die Welt am Sonntag hat scheinbar geschafft, was in diesem Wahlkampf noch keiner Zeitung gelungen ist – die beiden Konkurrenten um das Amt des Regierenden Bürgermeisters an einen Tisch zu bekommen. „Das Berlin-Duell: Diepgen kontra Stahmer“, titelte das Springer-Blatt gestern. Auch die Gestaltung der Seite vermittelte den Eindruck eines Streitgesprächs. Allenfalls bei sorgfältiger Exegese des Vorspanns hätten sich die Leser wundern können, warum die WamS das Wort „Interview“ sorgfältig vermied und vorsichtig formulierte, die Zeitung stelle die Aussagen der Kandidaten „gegeneinander“.

Der Grund für diese ungewöhnliche Zurückhaltung: Das Gespräch hatte nie stattgefunden. Für Stahmers Sprecher Christian Hoßbach ein „pressepolitischer Skandal ungekannten Ausmaßes“. Stahmer sei in dem Glauben gelassen worden, ein Einzelinterview zu führen. Der eigentliche Skandal bestehe aber darin, daß Stahmers Antworten Diepgen zur Kommentierung vorgelegt worden seien. Tatsächlich gehen Diepgens Antworten an mehreren Stellen auf Stahmer-Äußerungen ein.

„Ich hätte eher vermutet, daß Diepgen sich beschwert“, gibt sich der Leiter der Berlin-Redaktion, Heimo Schwilk, erstaunt. Beide Politiker seien unabhängig voneinander befragt und die Antworten zusammenmontiert worden. Das Verfahren sei ein „journalistischer Gag“ gewesen, um ein Streitgespräch zustande zu bringen. Daß Diepgen erst nach Stahmer befragt wurde, sei purer Zufall. Anlaß für Ärger hat der Regierende freilich kaum. Er darf sich im Interview in genau der Attitüde präsentieren, der auch sein Unwille gegen Streitgespräche entspringt. Er geriert sich als Souverän über den Parteien, der in die Niederungen des Wahlkampfs nicht hinabzusteigen braucht. Ralph Bollmann

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