: Diane: Geheimtip für Transvestiten
Wie Schering ein umstrittenes Medikament zum Marktrenner aufgebaut hat ■ Aus Bangkok Heinz Palla
Für das Berliner Pharmaunternehmen Schering ist der Streit um das Hormonpräparat Diane noch nicht ausgestanden. Ende März erließ das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zwar weitreichende Anwendungseinschränkungen für Medikamente mit dem Wirkstoff Cyproteronacetat (CPA), doch hinter den Kulissen geht das Gezerre weiter. Anlaß für die Verfügung des Arzneimittelinstituts waren Ergebnisse aus Tier- und Zellkulturversuchen, die ein erhöhtes Leberkrebsrisiko CPA-haltiger Medikamente erkennen ließen. Inzwischen ist auch der Fall einer Patientin bekannt, die nach langjähriger Einnahme des CPA-Präparates Diane im Dezember 1994 an Leberkrebs gestorben ist.
Besonders drastisch werden sich die Einschränkungen auf das umsatzstärkste CPA-Präparat, Diane, auswirken. Das Medikament wurde bisher von Millionen Frauen als Anti-Baby-Pille eingenommen. Hierzulande hat Schering inzwischen den Beipackzettel für Diane geändert: Die empfängnisverhütende Wirkung von Diane wird unter den Nebenwirkungen aufgeführt.
Gegen noch weitergehende Einschränkungen des BfArM, das eine Anwendung von Diane nur noch bei ausgeprägten Vermännlichungserscheinungen der Frauen wie zum Beispiel schwerer Akne erlauben möchte, geht Schering auf die Barrikaden. Der Pharmakonzern, der durch die Auflagen des BfArM einen Umsatzverlust von einigen hundert Millionen Mark befürchten muß, hat Widerspruch beim Verwaltungsgericht Berlin eingelegt. Der vom BfArM zunächst für Anfang Juli datierte Umsetzungstermin ist jetzt auf den 1. Dezember verschoben worden.
Wie auch immer der Streit zwischen Amt und Konzern enden mag – das Geschäft geht jedenfalls weiter. Zwar ist der Umsatz in Deutschland im letzten Jahr als Folge des vom BfArM eröffneten Stufenplanverfahrens leicht rückläufig gewesen. Aber weltweit konnte Schering für Diane einen Anstieg von rund acht Prozent verbuchen. Dieser Zuwachs ist allein dem Erfolg in den Auslandsmärkten zuzuschreiben, wo Ärzte und Öffentlichkeit so gut wie gar nicht über das vermutete Krebsrisiko informiert sind. Daß dieser Erfolg aber teilweise mit sehr fragwürdigen Methoden erreicht wurde, läßt sich am Beispiel der Produktwerbung in Thailand belegen.
Nach rasantem Zuwachs vor allem in den letzten fünf Jahren nimmt Diane in Thailand die absolute Spitzenposition unter den Verhütungspillen ein. Eine Umfrage in Bangkoker Drugstores fördert Erstaunliches zu Tage: Während alle anderen Kontrazeptiva für 25 bis 30 Baht (1,50 bis 1,80 Mark) pro Monatspackung angeboten werden, kostet Diane 180 Baht. Was bringt Frauen in Thailand dazu, den sechsfachen Preis für Diane auf die Ladentheke zu legen? Professor Renoo Kotrajaras, ehemalige Direktorin des Bangkoker Instituts für Dermatologie und führende Hautärztin des Landes, äußert sich kritisch über die unseriöse Produktpromotion durch die lokale Schering-Tochter: Die Firma habe Diane durch ihre Werbung zu einer Art Wunderpille aufgebaut, die von Frauen in der Erwartung gesteigerter sexueller Attraktivität gekauft werde.
In den Drugstores werden für Diane vielversprechende Wirkungen genannt, die den hohen Preis rechtfertigen: Pille zur Erhöhung der sexuellen Attraktivität. Vergrößerung der weiblichen Brüste. Weiche, sanfte Haut. In der Nähe des Rotlichtviertels Padpong sagt ein Verkäufer augenzwinkernd: „Unsere besten Kunden sind die Transvestiten. Denen empfehlen wir aber die dreifache Dosis.“ Mit mehreren tausend Transvestiten, „katoi“ heißen sie in Thailand, hat Schering offensichtlich eine feste Stammklientel. Unter thailändischen Ärzten besteht Konsens: Ein solches Produktprofil, das ohne wissenschaftliche Basis auf unterschwellige Wünsche zielt, ergibt sich nicht von selbst. Es wird durch gezielte Mundpropaganda etabliert. Die seriös gehaltene Packungsbeilage hat Alibifunktion. Als begleitende Maßnahme wird Diane seit Jahren in den einschlägigen Sexkolumnen der Boulevardpresse als Kontrazeptivpille mit Sexbonus angepriesen. Man weiß, wie einfach solche Produktpropaganda lanciert werden kann.
Ein Blick auf offizielle Marktdaten zeigt, wie gut sich das in die Werbung investierte Geld nun amortisiert: Von 310 Millionen Baht Gesamtumsatz der thailändischen Scheringtochter im Jahre 1994 entfielen allein 61 Prozent auf Diane. Besonders aufschlußreich: Scherings sogenannte Standardkontrazeptiva, wie Microgynon, Triquilar und Gynera, erbrachten zusammen nur einen Anteil von knapp fünfzehn Prozent. Das wegen seines problematischen Wirkstoffes CPA stets als Spezialpräparat eingestufte Diane ist damit zu Scherings Standardpille in Thailand aufgestiegen. Daß hier viel Geld im Spiel ist, bestätigen Gespräche mit Schering-Mitarbeitern. Diane bringt dem Berliner Unternehmen einen außergewöhnlich hohen Gewinn. An jeder in Thailand vekauften Monatspackung verdient der Pharmariese zehn- bis zwanzigmal soviel wie an einer ihrer anderen Verhütungspillen.
Es ist klar, in Deutschland und anderen behördlich stärker kontrollierten Pharmamärkten wäre ein solcher Erfolg nicht möglich gewesen. Selbst wenn sich ein derart dubioses Produktprofil völlig ohne Zutun der Firma entwickelt hätte, sozusagen aus dem Blauen heraus, müßte in Deutschland aus Gründen der wissenschaftlichen Seriosität eine Klarstellung seitens des Herstellers erfolgen. Eine solche verkneift Schering sich in dem weitgehend unkontrollierten Pharmamarkt Thailand natürlich gerne.
Es wird wesentlich vom Ergebnis der laufenden Verhandlungen zwischen Schering und den Berliner Arzneimittelwächtern abhängen, ob das Unternehmen das krebsverdächtige Diane weiter mit so fragwürdigen Methoden vermarkten kann. Für Schering steht dabei eine Menge Umsatz auf dem Spiel, und man darf gespannt sein, ob es der Firma gelingt, die Position des BfArM aufzuweichen. Immerhin hat der mächtige Konzern bereits eine zweimalige Verschiebung des Umsetztermins für die Auflagen des Arzneimittelinstituts durchgedrückt.
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