: Aus dem Käfig an den Galgen
Seit dem Wochenende müssen sich 48 Ägypter vor einem Militärgericht in der Wüste verantworten. Der Vorwurf: Sie sollen Mitglieder der Muslimbrüder sein. Ihnen droht die Todesstrafe ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Der Rahmen der ägyptischen Veranstaltung scheint zu passen. Ganz vorne auf einer Theaterbühne sind fünf Pulte aufgebaut. Im Hintergrund ragt eine riesige Kinoleinwand. Der Vorhang zur Bühne bleibt heute hochgezogen.
„Mahkama“– das Gericht, schreit der junge Gerichtsdiener ganz besonderer Art. Graugrün von Hals bis Fuß gekleidet, ein rotes Barett schräg über den Kopf gezogen, trägt er die Uniform der ägyptischen Militärpolizei. Was hier 30 Kilometer östlich von Kairo in einer Kaserne mitten in der Wüste tagt, ist kein gewöhnliches Gericht, es ist Ägyptens oberstes Militärgericht.
Die 48 Männer, die in ihren weißen Gewändern schweigend hinter dem Gerichtskäfig den Einmarsch der Militärrichter beobachten, sind aber mitnichten Angehörige der ägyptischen Armee, sondern Zivilisten. Sie sind Mitglieder der Muslimbrüder, der ältesten islamistischen Gruppierung der arabischen Welt.
Nun sind Militärrichter, die im Land am Nil Zivilisten aburteilen, durchaus nichts Ungewöhnliches mehr. In den letzten drei Jahren wurden in 19 Fällen insgesamt 483 Zivilisten den Militärrichtern übergeben. Möglich wurde dies durch die Einführung eines „Terroristen-Gesetzes“ im Dezember 1992. Damals stimmte das Parlament zu, daß der Präsident persönlich in Zukunft das Recht hat, jeden Fall der Militärgerichtsbarkeit zu übergeben.
Die Gesetze entsprangen einer Zeit der kollektiven Paranoia, als sich die Anschläge auf Touristenbusse, Minister, Polizeioffiziere und säkulare Intellektuelle von seiten militanter islamistischer Gruppen häuften. Die Antwort des Staates war klar: Der umfassende Polizei- und Geheimdienstapparat sollte das Problem lösen und diejenigen, die dabei ins Netz des bis dato relativ erfolgreichen Sicherheitsapparates kamen, sollten als Abschreckung zu besonders harten Strafen verurteilt werden.
Die Militärgerichte leisteten ganze Arbeit. 64 Menschen wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. 46 von ihnen leben inzwischen nicht mehr. Einmal einem Militärgericht überstellt, gibt es keine Berufungsmöglichkeit mehr. Nur noch der Präsident persönlich kann die Verurteilten begnadigen.
Doch der jetzige Prozeß hat noch eine andere Qualität. Bisher handelte es sich meist um Fälle, in denen militante Islamisten für Anschläge auf Touristen oder Offizielle verurteilt wurden. Der Fall der 48 Muslimbrüder dagegen scheint ein politischer Prozeß par excellence.
Im Gegensatz zu den militanten Gruppen wie Dschihad oder den Gamaat al-Islamiya haben die Muslimbrüder zum „Marsch durch die Institutionen“ aufgerufen. In Parlament und den Berufsverbänden verkünden sie nun schon seit einem Jahrzehnt ihr konservativ- reformistisches Konzept: „Der Islam ist die Lösung“.
So handelt es sich bei den Männern im Gerichtskäfig nicht um irgendwelche Jugendliche, die von Zuckerrohrfeldern auf Touristenbusse schießen oder militärisch gut ausgebildete Afghanistan-Rückkehrer, die komplizierte Anschläge auf einen Minister planen. Es sind durchweg Menschen aus Berufsverbänden, wie Essam al- Eryan, der zweite Vorsitzende des Ärzteverbandes oder von Universitäten, wie Muhammad Habib, ein Professor der Assiut-Universität. Auch ein Gelehrter der islamischen Ashar-Universität ist unter den Angeklagten.
Einer der Angeklagten, Ibrahim Bayumi, wurde nach mehreren Wochen Haft vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Jetzt erscheint er zu den Gerichtsterminen im Angeklagtenkäfig. „Die Untersuchung?“ Bayumi muß lachen. „Man hat mich ständig gefragt, warum ich für meine Doktorarbeit an der Kairoer Universität das Thema ,Die politischen Gedanken Hassan al-Bannas‘ gewählt habe.“ Bei dem Forschungsobjekt handelt es sich um den Gründer der Muslimbrüder. Besonders, so Bayumi, habe es die Behörden gefuchst, daß seine Arbeit mit „exzellent“ beurteilt wurde und daher auf Kosten der Universität an alle Institute und Universitäten des Landes verteilt wurde.
Die ursprüngliche Anklage, mit der die 48 dem Militärgericht übergeben wurden, ist äußerst vage gehalten. Sie sollen Mitglieder der Muslimbrüder sein und dort mit dem Ziel gearbeitet haben, Menschen gegen die Verfassung und geltende Gesetze aufzuhetzen. Dabei sollen sie sich in geheimen Treffen zusammengefunden haben.
Seit Monaten geht die Regierung auf direkte Konfrontation mit den Muslimbrüdern. Hunderte von ihnen wurden verhaftet. Regierungsvertreter sprechen hinter vorgehaltener Hand von einem geheimen Treffen in Europa, bei dem die Muslimbrüder ihre Arbeit mit den Aktionen der militanten Gruppen koordiniert haben sollen. Bisher blieb man aber konkrete Beweise für die Anklage schuldig.
Die Muslimbrüder sehen die Verhaftungswelle und den Militärgerichtsprozeß als einen Versuch, ihre Gruppe vor den im nächsten Monat anstehenden Parlamentswahlen vor den WählerInnen zu kriminalisieren.
Schon bei seinem Eintritt in den improvisierten Gerichtssaal macht General Ahmad Abdallah einen gelassenen, trotz seiner strengen Uniform fast sympathischen Eindruck. Gelegentlich macht er einen kleinen Witz, der selbst das angespannte Publikum, rund 300 Menschen, meist Anwälte, die zur moralischen Unterstützung der Angeklagten erschienen sind, zum Lachen bringt. Doch der Eindruck trügt. Bereits 23mal hat er in den letzten Jahren Zivilisten an den Strang geschickt. An 19 von ihnen wurde das Urteil bereits vollstreckt.
Das angereiste Verteidigerkomitee versucht unterdessen zwei Stunden lang nachzuweisen, daß der Prozeß illegal vor einem Militärgericht verhandelt wird. Kein einziges Mal geht es in dem Dialog zwischen den Verteidigern und den Richtern um die eigentliche Substanz der Anklage. Bereits am ersten Prozeßtag vor zwei Wochen wurde der Prozeß verschoben, weil die Verteidiger noch nicht sämtliche Papiere, Anklagen und Beweismittel in den Händen hielten. Jetzt versuchen sie mit allen Mitteln den Fall wieder zurück an ein ziviles Gericht zu überstellen. Nicht die Anklage der 48 Muslimbrüder steht hier zur Debatte, sondern die Rechtmäßigkeit der präsidialen Entscheidung, den Fall dem Militärgericht zu übergeben.
„Wir sind gekommen, um nachzuweisen, daß dieses Gericht nicht kompetent für diesen Fall ist“, erklärt der Sprecher des Verteidigungskomitees, der landesweit bekannt moderat-islamistische Anwalt Selim al-Awa. Daß er hier vor Gericht erscheint, ist durchaus nicht selbstverständlich. Manche Anwälte haben sich geweigert, an dem Prozeß teilzunehmen, weil dies dem Militärgericht eine gewisse Legitimität verleihe. Andere wollten ihre Mandanten nicht einfach hängen lassen. Für Muchtar Nuh, einen Anwalt, der in den letzten Jahren oft Fälle militanter Islamisten übernommen hat und dabei selbst unter Beschuß geriet, ist das ganze ein echter „Showcase“ – ein Schauprozeß, und gerade deshalb möchte er auch daran teilnehmen.
Eine Gruppe von drei deutschen Anwältinnen, die als Prozeßbeobachterinnen angereist sind, zeigt sich unterdessen schockiert. Die Tatsache, daß der Prozeß in einer Kaserne mitten in der Wüste stattfindet, die ausgiebigen Sicherheitskontrollen am Eingang zur Kaserne und die Angeklagten hinter Käfiggittern, das alles wirkt auf die Frankfurter Anwältin Jutta Spohr-Valentin wie ein schlechter Traum.
Im Gerichtssaal waren den deutschen Anwältinnen dann noch einmal Bedenken gekommen. Zu groß war wohl auch die politische Diskrepanz zwischen den Anwältinnen, den Angeklagten und dem Publikum, sichtbar etwa in der Kleidung. Während eine der Anwältinnen zum Gerichtstermin in für ägyptische Verhältnisse provokativen Shorts erscheint, sitzen all ihre ägyptischen Kolleginnen und die Frauen im Publikum tief verschleiert auf ihren Sitzen. Auch später, bei einem Dinner zu Ehren der angereisten Anwältinnen, zu denen der Vorsitzende des ägyptischen Anwaltsvereins und einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Muslimbrüder, Ahmad al-Banna, eingeladen hatte, wurde den deutschen Anwältinnen noch einmal das Dilemma ihrer Mission bewußt. Sie alle wollen, daß den Angeklagten ein fairer Prozeß zuteil wird. Das ist für sie eine Frage des Prinzips. Aber als sie die Ansichten der islamistischen Anwälte, etwa zu Frauenfragen hören, müssen sie doch gelegentlich tief schlucken. Damit sind sie auch in den Kern des ägyptischen Dilemmas gestoßen. Demokratie ja, aber was tun, wenn mein politischer Gegner, dessen Existenz es demokratisch zu verteidigen gilt, nichts von Demokratie hält? Und wie geht das Verfahren aus? Zunächst wurde der Prozeß auf den 23. Oktober vertagt, einen Tag, bevor das oberste Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit des Militärgerichts entscheiden soll.
Ansonsten sind sich alle einig. Verurteilt wird je nach politischer Lage vor und nach den Wahlen. „Heute konnte der Richter nicht entscheiden, weil das Telefon ausgefallen ist“, witzelt einer der Anwälte bei der Fahrt zurück zum Kaserneneingang. Entschieden, so die eingängige Meinung wird nicht im Gerichtssaal, sondern im Präsidentenpalast. Nicht zuletzt, so einer der Anwälte, ist der Vorsitzende des Gerichts kein Richter, sondern Soldat, der seine Befehle von oben erhält. Ob seine Berufung als Militärrichter nach zwei Jahren erneuert wird, hängt ganz vom Gutdünken seiner Dienstherren ab.
Der angereiste Beobachter der Genfer Internationalen Juristenkommission, Fadi Melha, ein libanesischer Anwalt, faßt den Prozeßtag in seine eigenen Worte: „Ich hatte schon den Verdacht, als ich die Theaterbühne sah, dann wurde ich noch einmal von den Dialogen zwischen Richter und Anwälten bestärkt. Das ganze ist eine Commedia dell'arte – eine Komödie mit viel Improvisation.“ Bleibt abzuwarten, ob sie die Angeklagten am Ende an den Strang, ins Gefängnis oder gar wieder auf freien Fuß bringt.
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