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Vom Anti-Walesa zum Anti-Christ

Der Vorsitzende der polnischen Sozialdemokraten macht als „teuflischer“ Kandidat für das Amt des Staatschefs Schlagzeilen. Die katholischen Bischöfe beschuldigen Kwaśniewski, einen offenen Kampf gegen die Kirche zu führen  ■ Von Gabriele Lesser

Vor einer kleinen Kneipe im Wallfahrtsort Tschenstochau stehen fünf Leute und scheinen nur auf den nächstbesten Priester zu warten, dem sie an die Gurgel springen können. Marek hat einen knallroten Kopf: „Mit mir nicht! Ich lasse mich doch nicht für dumm verkaufen! Und wenn die Kirche hundertmal sagt, das sei eine Sünde.“ Zofia fuchtelt in der Luft herum: „Soll ich etwa beichten, wo ich mein Kreuzchen mache? Ich denke, wir haben jetzt eine Demokratie? Daß ich nicht lache. Nur für gute Katholiken oder was?“

Karol versucht zu besänftigen: „Für die Kirche ist Kwaśniewski doch ein rotes Tuch, ein Exkommunist, eine Wendehals, ein sogenannter Sozialdemokrat, noch dazu ein erklärter Antiklerikaler. Die müssen den doch verteufeln. Die Hirten“, grinst er, „müssen den Schäfchen zeigen, wo die Guten und wo die Bösen stehen. Am Ende kommen wir sonst nicht ins Paradies.“ Zofia tippt sich an die Stirn: „Wegen Kwaśniewski?“

Die katholische Kirche ist tatsächlich besorgt, daß Aleksander Kwaśniewski, der Kandidat der regierenden Sozialdemokratischen Partei Polens, den ersten Wahlgang für das Präsidentenamt am 5. November gewinnen könnte. Für diesen Fall hat die 279. Gesamtkonferenz aller polnischen Bischöfe einen „Interventionsbrief“ angekündigt, der die Wähler vor dem zweiten Wahlgang noch einmal warnen soll.

Die Bischöfe sind vorsichtig genug, in ihrem offenen Brief an die Gläubigen keine Namen zu nennen. Dennoch ist klar, wen sie meinen, wenn sie von den „Leuten der Volksrepublik“ sprechen. Denn nur ein einziger von insgesamt 17 Präsidentschaftskandidaten wagt es, sich prononciert antikirchlich zu äußern.

Aleksander Kwaśniewski hatte seine Wahlkampagne bereits Mitte Mai gestartet, sich aber etwas voreilig als „Anti-Walęsa“ feiern lassen. Ein Flop, wie sich im Laufe der Zeit herausstellen sollte. Lech Walęsa, noch bis Anfang November amtierender Staatspräsident, kam zwar, was seine Beliebtheit bei der Bevölkerung anging, lange nicht aus dem Keller heraus. Doch er war clever genug, seine Kandidatur erst zum offiziellen Nominierungstermin bekanntzugeben. Kwaśniewski hatte somit keinen Gegenpart, gegen den er hätte antreten können. So verlegte er sich zunächst auf das Image des „netten jungen Manns von nebenan“.

Die Strategie hatte Erfolg. Umfragen zufolge gehört Kwaśniewski heute zu den beliebtesten Politikern Polens. Der 40jährige hat zwar eine sozialistische Musterkarriere hinter sich, doch ist er der einzige aus der alten Nomenklatura, der sich öffentlich für die Fehler des kommunistischen Regimes entschuldigte. Ihm werden die größten Chancen eingeräumt, in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen zu kommen.

Kwaśniewski, der sich heute mit Adam Michnik, der ehemaligen Gallionsfigur des intellektuellen Widerstands, duzt, war in der Zeit des Kriegsrechts zunächst Chefredakteur der Studentenzeitung itd. Nach kurzer Bewährungszeit wechselte er zum Sztandar Mlodych, dem Jugendblatt der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) und übernahm 1985 – mit 31 Jahren – das Ministerium für Jugend und Sport. Er gehörte der letzten kommunistischen Regierung unter Rakowski an. 1989 saß er mit am „Runden Tisch“ – als Verhandlungspartner auf Regierungsseite. Ein Jahr später gelang es ihm auf dem letzten Parteitag der Kommunisten, eine Nachfolgepartei, die „Sozialdemokratie der Republik Polen“ (SdRP), zu gründen. Den Imagewandel – die Exkommunisten und heutigen Sozialdemokraten sind heute „modern, demokratisch und kompromißbereit“ – verdankt die Partei in erster Linie ihrem Vorsitzenden Kwaśniewski.

Schon 1993 konnte die Partei ihr großes Comeback feiern. Als führende Kraft im postkommunistischen „Bündnis der demokratischen Linken“ (SLD) gewann sie die Parlamentswahlen und stellte gemeinsam mit der Bauernpartei Waldemar Pawlaks die Regierung.

Der gelernte Transportökonom Kwaśniewski hat ein ausgesprochen gutes Händchen für die Presse. Er ist immer freundlich und verbindlich, schlagfertig und witzig. Vor zwei Jahren machte er eine Radikaldiät und ließ die gesamte Yellow Press Polens daran teilnehmen, unter dem Motto: „Vom Hefekloß zum polnischen Kevin Costner“.

In den Zeitungen wird der Mann als „Sympathie- und Hoffnungsträger“ verkauft: verheiratet, eine Tochter, Hobbys sind Tennis, Fußball und Lesen (am liebsten Zeitungen, aber auch schon mal Biographien oder historische Romane). Er besitzt eine Dreizimmerwohnung, ein Handy, zwei Autos. So wie Kwaśniewski wollen viele Polen leben.

Der 40jährige zählt zum liberalen Flügel seiner Partei, war aber dagegen, die „Konservativen“ oder „Betonköpfe“ auszuschließen. Die Wahlkampfparole „Wählt die Zukunft!“ kommt sowohl bei den Reformverlierern als auch bei den neuen Unternehmern gut an. Zwar bietet Kwaśniewski den Arbeitslosen, den Armen und Rentnern weder ein konkretes Arbeitsbeschaffungsprogramm noch ein staatlich garantiertes Existenzminimum an, doch hat er für sie viel Verständnis und ein stets offenes Ohr.

Auch seine Forderungen nach mehr Dezentralisierung sowie dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (EU) und zur Nato stoßen bei den Menschen auf Gehör. Wenn Kwaśniewski dann noch in einer Wahlveranstaltung wie unlängst in Tschenstochau sagt: „Die Volksrepublik hat nicht nur Zerstörung, Leid und Unrecht mit sich gebracht, sie bestand auch aus der ehrlichen Arbeit von vielen Menschen, die etwas für ihr Land und ihre Familie tun wollten“, dann wirkt das wie Balsam auf die wunden Seelen einer postsozialistischen Gesellschaft.

Andererseits schätzen auch viele Unternehmer den Profipolitiker, der nicht nur in Polen für die Prinzipien der Marktwirtschaft eintritt, sondern auch im Ausland gut zu repräsentieren versteht. Gegner werfen Kwaśniewski vor, daß er nur deshalb so prononciert marktwirtschaftliche Ziele verfolge, weil die alten kommunistischen Seilschaften sich rechtzeitig die besten Stücke aus dem Kuchen herausgeschnitten hätten. Tatsächlich gehören heute viele der alten Kommunisten zur neuen Geldelite Polens. Wichtige Positionen in den Medien, in der Verwaltung und im Bankwesen sind nach wie vor oder wieder von ehemaligen Apparatschiks besetzt.

Zur katholischen Kirche hatte Kwaśniewski bis vor kurzem ein, wie er sagte, „entspanntes Verhältnis“. Das hat sich in den letzten Wochen entscheidend geändert. Der Ton ist schärfer geworden. Begonnen haben den Streit aber die Bischöfe.

Ihre Warnung an die Wähler, keinen „Kandidaten zu wählen, der im totalitären Staat hohe Partei- und Regierungsämter“ innehatte, war eindeutig auf Kwaśniewski gemünzt. Der reagierte prompt und verglich in einem Interview mit der italienischen Zeitung La Stampa die polnische Kirche mit einer Partei, deren Mitglieder – gemeint waren die Geistlichen – sich wie „fanatische Agitatoren“ gebärdeten.

Erzbischof Ignacy Tokarczuk goß noch Öl ins Feuer und kanzelte die exkommunistischen Sozialdemokraten vor 100.000 Pilgern in Tschenstochau als Politiker ab, die unter „antireligiösen Komplexen“ litten und einen „offenen Kampf gegen die Kirche“ führten.

Vielen Polen geht der Streit inzwischen zwar auf die Nerven, sie genießen ihn aber auch in vollen Zügen: Was könnte schöner sein als ein ordentlicher Krach! Die Vorstellung, statt eines radebrechenden Elektrikers nun einen „Antichristen“ zum Präsidenten zu haben, wird das politische Feuilleton noch zu manch tiefsinnigen Analysen und die Stammtischbrüder und -schwestern zu heißen Debatten anregen.

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