Carlsson ohne Nachfolge

■ Schwedens Vizeministerpräsidentin stolpert über Kreditkartenaffäre

Stockholm (taz) – Sie fühle sich „noch nicht bereit“, die Nachfolge von Regierungschef Ingvar Carlsson anzutreten, sagte Schwedens stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Sahlin am Sonntag. Kein Wunder, war Sahlin doch in den letzten Tagen zunehmend unter Druck geraten.

Der Grund: Neben Amt und Ehre erhalten schwedische MinisterInnen bei ihrem Amtsantritt seit einigen Jahren eine kleine Kreditkarte ausgehändigt, um damit gegebenenfalls amtlichen Repräsentationspflichten nachkommen zu können. Für Privateinkäufe natürlich tabu. Ausgerechnet die stellvertretende Ministerpräsidentin hatte offenbar grundsätzliche Probleme, Amt und Privatleben auseinanderzuhalten: Seit 1991 bezahlte sie mal neue Schuhe, eine Lederjacke oder gleich die Urlaubsreise für die ganze Familie mit der Staatskarte. Das Geld zahlte sie zurück, aber dummerweise nicht gleich und nicht unaufgefordert: Manchmal mußten erst Mahnschreiben in Sahlins Briefkasten landen, bevor die mit rund 10.000 Mark monatlich nicht unbedingt schlecht versorgte Ministerin sich zur Rückzahlung bequemte.

Der absehbare Karriereknick könnte nun die Quittung für Sahlins Unfähigkeit sein, ihre Privatfinanzen in Ordnung zu halten. Sahlin war – schon mangels anderer BewerberInnen – konkurrenzlose Kandidatin für die Nachfolge von Ministerpräsident Ingvar Carlsson, der im September seinen Rücktritt für kommendes Frühjahr angekündigt hatte. Doch am Samstag veröffentlichte Blitzumfragen zeigten, daß die SchwedInnen in ihrer Mehrheit strengere Anforderungen an die Moral ihrer Regierungsmitglieder stellen: Über 60 Prozent der Befragten hielten Mona Sahlin – die Frau mit den höchsten Popularitätswerten hinter Astrid Lindgren und Königin Sylvia – plötzlich für ungeeignet fürs höchste Amt.

Dabei unterstellt niemand, Mona Sahlin habe das Geld nicht zurückzahlen wollen. Irgendwann. Sie hat nur dummerweise an ihre Mitbürgerinnen Anforderungen gestellt, denen sie selbst nicht einmal ansatzweise gerecht wurde. „Ist man Sozialdemokrat“, so Originalton Sahlin im letzten Wahlkampf, „findet man es ganz toll, Steuern bezahlen zu können.“ Bei ihr selbst mußte, wie die Presse im Zusammenhang mit der Kreditkartenaffäre zu berichten wußte, erst der Gerichtsvollzieher bemüht werden, um ausstehende Steuern einzutreiben. Reinhard Wolff