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Wir brauchen keine Bischofsworte zu diesem Thema

■ betr.: „Die Lizenz zum Abbruch ist für die Frau eine Lizenz zum Le ben“ von Helke Sander, taz vom 10. 10. 95

Es kann nicht im Interesse von Frauen sein, die mit Blindheit geschlagene Wahrnehmung und James-Bond-Metaphorik eines Johannes Dyba in den Gang der eigenen Argumentation einzubauen. Wir brauchen keine Bischofsworte zu diesem Thema, auch keine „etwas anderen“.

Gerade weil die „Abtreibungsdebatte ... auch ein Kampf um Worte (ist)“, bleibt Vorsicht geboten, wollen wir Diskussionsebenen nicht vermengen und reale Konflikte nicht verschleiern. Es ist unnötig und der Sache des weiblichen Selbstbestimmungsrechts wenig dienlich zu betonen, daß Frauen stets in „Notwehr-Situation(en) für sich und gegen das in ihr wachsende Etwas“ entscheiden, daß sie dabei „durchaus die gleichen Bilder vor sich“ haben „wie die sogenannten Lebensschützer ..., Bilder von Föten, die sich bewegen, deren Gliedmaßen erkennbar sind, ein in seinem Anfang erkennbarer Mensch“.

Einige Frauen werden diese oder ähnliche Bilder vor sich haben, andere nicht. Ist es unmoralisch bei anstehender Entscheidung für oder gegen einen Abbruch, keine Vorstellungen von Reagenzgläsern mit Föten in verschiedenen Entwicklungsstadien zu entwickeln?

Warum müssen wir innerhalb der Abtreibungsdebatte im doppelmoralisch verseuchten Disput mit der katholischen Kirche in vorauseilendem Gehorsam versichern, daß wir ja durchaus Traumata bekommen können? Geht es am Ende, ohne daß Helke Sander es will, um einen Ablaßhandel mit den moralisch nach wie vor allzu Definitionsmächtigen im Lande? Wir fordern das Recht auf Abbruch, und im Gegenzug dürft ihr euch unseres moralischen Leidens an uns selbst sicher sein?

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Nicht der Verschleierung real existierender Traumata soll das Wort geredet, vielmehr die Frage nach angemessenen Orten ihrer Thematisierung aufgeworfen werden.

Die Debatte darüber, „ab welcher Woche ein Fötus als Mensch bezeichnet werden kann“, ist zwar stets in haarspalterischer Weise geführt, ideologisch aufgeladen und instrumentalisiert worden. Die Debatte als solche birgt jedoch weniger Haarspalterisches als Notwendiges in sich. Sonst bleiben Begriffe ungeklärt, Widersprüche und meines Erachtens allzu hinkende Vergleiche bestehen: Warum stellt Helke Sander die Behauptung auf, keine Frau würde sagen, sie trage einen „nicht lebensfähigen Fötus“ in sich, sondern: „Ich erwarte ein Kind“, wenn sie fast im gleichen Atemzug sagt, daß die Frau sich „tatsächlich gegen etwas Lebendiges, das in dem Fall noch nicht von anderen, sondern vollständig von ihr abhängt, entscheidet“? Kinder sind nicht vollständig von der Frau abhängig, Föten schon. Wir müssen uns wohl doch über Begriffe verständigen. Ist es tatsächlich „Wortklauberei“, „ob sie etwas schon Lebendiges oder erst lebendig Werdendes dabei töten oder vernichten? Abgesehen von der diskussionswürdigen Wortwahl der Tötung und Vernichtung, stellt sich an dieser Stelle die Frage, um was es eigentlich geht. Reden wir von dem Recht auf Kindstötung oder auf Schwangerschaftsabbruch?

Helke Sander gibt zu, daß der Vergleich mit unseren Urahnen, die Tiere mit Jagdzauber gnädig stimmten, sie töteten, um sie des menschlichen Überlebens willen zu essen, hinkt. Aber er hinkt nicht nur wie „jeder Vergleich“, sondern so sehr, daß er als solcher nichts taugt. Bei der Entscheidung einer Frau zum Schwangerschaftsabbruch geht es in unseren Breitengraden in den seltensten Fällen um so spektakuläre Dinge wie das nackte Überleben, sondern um so (eigentlich) selbstverständliche wie das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und die individuelle Lebensplanung.

Wozu also der „Vergleich“ mit Urahnen, die „ein gutes Verhältnis zum Tier“ gehabt haben mochten, es „respektierten“ und trotzdem „aßen“? Die Argumentation läßt mindestens zwei Vermutungen zu: Entweder geht es hier um ein Plädoyer für Kindstötung (was nicht anzunehmen ist), oder sie begibt sich in kirchlich-dogmatisierende Argumentationsmuster, setzt Schwangerschaftsabbruch mit Tötung und Vernichtung gleich, um anschließend das Recht darauf einzuklagen. Diese Diskussionslinie führt auf direktem Wege in die moralinsaure Sackgasse, denn die Vernichtung von Leben ist auch mit einer positiven Umwertung der „Lizenz zum Töten“ in eine „Lizenz zum Leben“ für die Frau nicht unmittelbar zu begründen. Patricia Keeding,

Petra Haustein, Berlin

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