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Volksbegehren und mehr Grundrechte

■ Am Sonntag stimmt das Volk auch über die geänderte Verfassung ab. Aber obwohl der Text der neuen Verfassung an alle Haushalte verteilt wurde, weiß kaum jemand, welche Änderungen zur Wahl stehen

Das blaßblaue Heft sieht aus, als hätten sich ein paar Schüler viel Mühe gegeben, es verbreitet den Charme einer Klopapierrolle. „Keine Werbung“ hat man auf das Titelblatt gedruckt, damit man es auch wirklich sofort in den Mülleimer wirft. Alle Berlinerinnen und Berliner hätten den Text der neuen Verfassung von Berlin in den letzten Wochen in ihrem Briefkasten finden müssen. Denn am Sonntag sollen sie in einer Volksabstimmung über deren Annahme entscheiden.

Im Wahlkampf allerdings spielte die Verfassung keine Rolle. CDU, SPD, FDP und Bündnisgrüne fordern mit mehr oder weniger viel Begeisterung dazu auf, ihr Kreuz neben dem „Ja“ zu machen. Die PDS hingegen ruft auf, mit „Nein“ zu stimmen. Viele Menschen beklagen sich allerdings inzwischen darüber, schlecht über die Verfassungsänderungen informiert worden zu sein. Manche wollen das Heft nie erhalten haben, andere stehen ratlos vor der lieblos zusammengestellten Bleiwüste aus dem Abgeordnetenhaus.

Folgendes zumindest sind die wichtigsten Änderungen:

– Der neue Verfassungstext enthält einen erweiterten Katalog von Staatszielen. So wurden das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnraum und der Schutz der Umwelt konkretisiert sowie unter anderem die Unverletzlichkeit von Gewissen und Glauben und die Förderung von Bildung und Sport in die Verfassung neu aufgenommen. Doch Staatsziele haben nur einen allgemein verpflichtenden Charakter. Unmittelbare politische oder rechtliche Konsequenzen ergeben sich daraus nicht.

– Der Katalog der Grundrechte wurde um die Gleichstellung von Frauen und Männern, das Verbot der Benachteiligung aufgrund sexueller Identität oder aufgrund von Behinderung erweitert, nicht- eheliche, auf Dauer angelegte häusliche Lebensgemeinschaften sollen vor Diskriminierung geschützt werden. In den Worten der scheidenden Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien (CDU) heißt dies, die neue Verfassung bekräftige „das Recht auf Gleichrangigkeit der Unterschiedlichen“.

– Die sicher weitreichendste Änderung der Verfassung betrifft die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden. Sollte die Verfassung angenommen werden, dann muß das Abgeordnetenhaus in Zukunft das Thema einer Volksinitiative auf seine Tagesordnung setzen, wenn 90.000 volljährige und in Berlin gemeldete Menschen – auch Nichtdeutsche – mit ihrer Unterschrift dies unterstützen.

Ein Volksbegehren muß mindestens von einem Zehntel der wahlberechtigten Berliner unterstützt werden. Sollte das Abgeordnetenhaus dann den vorgeschlagenen Gesetzentwurf oder die Gesetzesänderung ablehnen, muß das Volksbegehren den Berlinern zur Abstimmung, dem Volksentscheid, vorgelegt werden. Beteiligen sich an der anschließenden Volksabstimmung mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten, genügt für die Annahme die einfache Mehrheit. Nehmen weniger als 50 Prozent an der Abstimmung teil, ist eine Zustimmungsquote von einem Drittel aller Wahlberechtigten erforderlich. Vor allem die Landesverfassung, der Landeshaushalt sowie Personalentscheidungen dürfen nicht Gegenstand von Volksabstimmungen sein.

Für die Annahme der Verfasssung ist am Sonntag nur die einfache Mehrheit erforderlich. Sollten Berliner und Brandenburger allerdings im Mai kommenden Jahres der Fusion der beiden Bundesländer zustimmen, dann steht in vier oder in acht Jahren bereits die nächste Verfassungsabstimmung an. Schließlich braucht ein gemeinsames Bundesland auch eine gemeinsame Verfassung. CSE

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