piwik no script img

Grashüpfer mit Kuhglocken-Charisma

Mühelos mit 3:0 fertigte Ajax Amsterdam in der Champions League Grasshoppers Zürich ab  ■ Aus Amsterdam Henk Raijer

Ajax Amsterdam hat derzeit nur einen einzigen ernstzunehmenden Gegner: die Erwartungshaltung seines Publikums. Selten war es im Olympiastadion der niederländischen Metropole so ruhig wie beim Champions-League-Duell zwischen dem Titelverteidiger und dem Grasshoppers Club aus Zürich. Die Veranstaltung glich fast schon einer Andacht: Wenn die spärlichen Fans der scheuen Grashüpfer sich überhaupt mal meldeten, ersuchte das Amsterdamer Publikum, Zeigefinger an den Lippen, die Störer umgehend mit lautem „Ssst“ um angemessene Ruhe.

Das 3:0 im dritten Spiel der Gruppe 4 der europäischen Meisterliga war nicht mehr als eine Formalität. Gegen einen Gegner mit dem Charisma einer Kuhglocke konnten und wollten die Ballzauberer der derzeit besten Clubmannschaft Europas keine 90 Minuten aufdrehen. Und das brauchten sie auch gar nicht. Seit dem Debüt in der Champions League, dem 2:0 gegen den AC Milan in der Vorrunde des letzten Jahres, scheint nichts Ajax aus dem Rhythmus bringen zu können. Die Mannschaft, die zur Zeit in der niederländischen Ehrendivision mit 27 Punkten aus 9 Spielen und 33:0 Toren Dauerrivale PSV schon zu Beginn der Saison abgehängt hat, erzielt auch gegen einen Gegner wie den pur defensiv eingestellten Grasshoppers Club die zum Sieg notwendigen Tore.

Und die zumindest waren allemal sehenswert, auch wenn sich das Spiel über weite Strecken uninspiriert dahinzog. Das 1:0 in der 11. Minute durch Patrick Kluivert, 19jähriges Supertalent aus der eigenen Kaderschmiede, unterbrach nur für einen kurzen Moment die sich von Beginn an abzeichnende Monotonie. Mühelos, aber ohne den gewohnten Hunger hatten sich bis dahin die Ajax-Spieler die Bälle in die Füße geschoben, hatten Spielmacher Ronald de Boer und vor allem Verteidiger Winston Bogarde mit unnachahmlicher Präzision über 40 Meter ihre Flügelstürmer Marc Overmars und Finidi George erreicht – ohne großen Erfolg.

Das Tor des Patrick Kluivert jedoch war Ergebnis einer Einzelaktion: Aus 25 Metern rammte der junge Ausnahmestürmer den Ball volley an die Latte; Grasshoppers- Schlußmann Pascal Zuberbühler hatte das Nachsehen, als ihm das Leder zuerst ans Bein sprang und von dort ins Netz hüpfte.

Der Respekt vor dem großen Namen und das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit hielten die Zürcher davon ab, sich eigene Ambitionen auch nur gedanklich zu leisten; Schadensbegrenzung hieß die Devise. Wodurch sie Ajax nicht unbedingt zu spektakulären Taten drängten. Nach dem frühen 1:0 folgte eine Pflichtnummer. „Ein Glück, daß wir bei unseren Fans Kredit haben“, kommentierte Kapitän Danny Blind nach der Begegnung. „Im großen und ganzen war es nicht gerade ein großes Spiel“, so Ajax-Coach Louis van Gaal, „aber ich habe die schönen Augenblicke genossen. Und davon gab es einige.“

Erst 25 Minuten vor Schluß hatte van Gaal Erbarmen mit dem gelangweilten Anhang. Adel verpflichtet, dachte er sich wohl und schickte den konditionell und gesundheitlich nicht ganz fitten Ronald de Boer zum Duschen. Mit Nwankwo Kanu kam wieder Tempo ins Spiel. Ein ums andere Mal spazierte der Nigerianer spielend leicht durch die gegnerische Abwehr und brachte Patrick Kluivert und Jari Litmanen in Stellung. Der Finne Litmanen, für Ajax bisher elfmal erfolgreich in 21 europäischen Begegnungen, sprintete allerdings meist ins Abseits oder traf nur Aluminium. Matchwinner wurde, wie schon so oft seit seinem Debüt in der letzten Saison, Patrick Kluivert. Mit dem 2:0 nach tollem Solo in der 67. Minute markierte er seinen fünften Treffer in neun Europapokalspielen.

Kapitän Blind attestierte seinem jungen Teamkollegen – der privat gerade in mächtigen Schwierigkeiten steckt, nachdem er einen Verkehrsunfall verursachte, bei dem ein Mann starb – erneut außerordentliches Talent: „Sein erstes Tor war phantastisch, sein zweites schlicht Kunst.“ Erst in der Schlußphase verwischte sich dann der Eindruck routinierter Langeweile – durch den schönsten Spielzug des ganzen Abends drei Minuten vor Ende der Begegnung. Jari Litmanen sah das Loch in der Schweizer Abwehr und bediente maßgerecht Finidi George. Der besiegelte durch eine samtene Bewegung mit dem rechten Außenrist das 3:0-Endergebnis – und versöhnte damit die 44.000 auf der Tribüne und die Millionen vor dem Bildschirm, die immer schwerer zufriedenzustellen sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen