: „Ich rieche Torf und Seetang“
Der alte Mann von Storr auf der Isle of Skye ist im Nebel verschwunden, der sagenhafte Schatz zu seinen Füßen geborgen und der McDonalds Clan mit Stammsitz in Armadale hat der Welt vor allem Fleischbrötchen beschert ■ Von Ralf Sotscheck
Mallaig im Sound of Sleat ist die Endstation der „Mallaig Railway“, der knapp siebzig Kilometer langen Eisenbahnstrecke im Westen des schottischen Hochlands. Der Fischerort wirkt verschlafen. Nur im Sommer erwacht er für ein paar Wochen zum Leben, wenn Zehntausende TouristInnen von hier aus zu den Hebriden übersetzen. Links am Horizont, keine zwanzig Kilometer entfernt, kann man Eigg vom Hafen aus erkennen. Die 3.000 Hektar große Hebrideninsel mit 76 EinwohnerInnen ist Ende März an den Stuttgarter Künstler Marlin Eckhard – Künstlername „Maruma“ – für rund 3,5 Millionen Mark verkauft worden. Eckhard, ein Neffe des Nazi-Feldmarschalls Karl von Runstedt, will eine Whisky-Brennerei eröffnen, die Produktion organischer Wolle ankurbeln und das große Landhaus in eine Kurklinik verwandeln.
Wir wollen jedoch nach Skye nördlich von Eigg. Die Isle of Skye ist mit 1.380 Quadratkilometern die größte Insel der inneren Hebriden. Dem englischen Reiseschriftsteller Henry Vollam Morton kam vor fast siebzig Jahren auf der kurzen Überfahrt der Gedanke, daß er dabei sei, einen Traum zu zerstören: „Vielleicht wird es ebenso enttäuschend sein, Skye zu sehen, wie im späteren Leben eine Frau zu treffen, die man als Achtzehnjähriger heiraten wollte. Etwas aber, das aus den blauen Bergen herausleuchtet, bringt mir meine Fassung zurück. Die Wolken lichten sich, und ich sehe seltsame und groteske Berge. Dunkel und heroisch liegen sie da.“
Skye ist in der berühmten schottischen Landkarte des Claudius Ptolemäus aus dem 2. Jahrhundert verzeichnet. Allerdings verlagerte der Mathematiker und Geograph aus Alexandria die Hebrideninsel in die Nähe von Norwegen und nannte sie „Skitis“. Auf Skye und im übrigen Hochland hielt sich das keltische Gesellschaftssystem bis ins 18. Jahrhundert. Grundeinheit war der Clan, die erweiterte Familie. Ihr stand der Chief vor, dem alle zu gehorchen hatten. Nach seinem Tod wählte die Ratsversammlung einen Nachfolger. Drei Clans herrschten auf Skye: Die MacDonalds, die MacLeods und die MacKinnons.
Bislang legte die Fähre von Mallaig im Hafen von Armadale an. Seit letzter Woche führt eine neue Seebrücke auf die Insel Skye. Der Fährverkehr wurde eingestellt.
Das Schloß am Hafen von Armadale ist der Stammsitz der MacDonalds. Im restaurierten Teil des verfallenen Schloßes befindet sich das Clan Donald Centre, wo ein audiovisuelles Programm darüber informiert, wie die MacDonalds zum bestorganisierten Clan der modernen Zeit wurden – auch wenn von den 480.000 Hektar, die der Clan vor hundert Jahren auf Skye noch besaß, inzwischen nur noch ein Drittel übrig ist. Der Sippe gehören ebenso viele Mitglieder an, wie Schottland Einwohner hat: fünf Millionen, darunter auch die weltweit berühmten Fleischbrötchenkonstrukteure aus den USA.
Hinter Armadale wird die Straße für 20 Kilometer einspurig. Von Zeit zu Zeit gibt es geteerte Ausbuchtungen, die bei Gegenverkehr das Ausweichen ermöglichen. In den Straßenbelag sind immer wieder Metallgitter eingelassen: Sie dienen als Sperren für Schafe, denn sie können mit ihren Hufen nicht über die schmalen Gitterstäbe laufen. Die Straße führt durch den „Garten von Skye“, wie die Sleat-Halbinsel heißt, nach Broadford. Vor der Küste liegt Pabay, die „Priesterinsel“, wo früher Piraten hausten. Drei Buchten weiter kommt man nach Portree, mit 1.500 EinwohnerInnen die Hauptstadt der Insel. Der Name bedeutet im Gälischen „Königshafen“: Hier stach JakobV., der Vater von Maria Stuart, 1540 in See, um den Clan- Chiefs der übrigen Hebrideninseln Respekt vor der schottischen Krone beizubringen.
Von Portree führt eine schmale Straße an der Ostküste auf die Halbinsel Trotternish hinauf. Nach einer Weile stößt man links auf den „Old Man of Storr“, einen über fünfzig Meter hohen Basaltfelsen, der erst 1955 von Bergsteigern zum ersten Mal bezwungen wurde. Jetzt wird klar, warum Skye auf gälisch Eilean a Cheo, die Nebelinsel, heißt: Der „alte Mann von Storr“ ist im Nebel verschwunden. Zu seinen Füßen wurde 1891 ein sagenhafter Schatz gehoben: Broschen und Armreifen aus Silber sowie Münzen aus dem 10. Jahrhundert. Man nimmt an, daß die Gegenstände von Wikingern vergraben wurden.
In der Gegend von Flodigarry wird die Straße einspurig: Hier hat Flora MacDonald gelebt, und ganz in der Nähe bei Kilmuir ist sie auch begraben. Die berühmteste Frau in der Geschichte von Skye hat im Jahr 1746 Prinz Charles Edward, der in Schottland liebevoll „Bonnie Prince Charlie“ genannt wird, nach seinem gescheiterten Aufstand zur Flucht verholfen, indem sie ihn als irische Magd verkleidete. Die Tat brachte ihr zwei Jahre im Tower von London ein. Danach lebte sie lange in Amerika, bevor sie 1779 nach Skye zurückkehrte, wo sie elf Jahre später starb.
Überall auf der Insel stößt man auf die Spuren von „Bonnie Prince Charlie“, der seine Flucht nach Frankreich aber nicht allein Flora MacDonald verdankt: Auch die ärmsten Inselbauern verschmähten damals das ansehnliche Kopfgeld von 30.000 Pfund und hielten dicht.
Die Gegend, so scheint es, ist völlig menschenleer. Doch als der Regen etwas nachläßt, steht hinter einer Kurve plötzlich ein Tramper. Angus wohnt in Kilmalnuag und will einen Nachbarn in Linicro besuchen. Weil er aber ansonsten nichts zu tun hat, beschließt er, bei der Rundfahrt um Skye mitzufahren und den Fremdenführer zu spielen.
Angus ist Mitte 20. Er ist Gelegenheitsarbeiter. „Mal beim Straßenbau, mal fahre ich Kohlen in einen Lieferwagen aus“, sagt er, „aber zur Zeit bin ich arbeitslos.“ Er wünscht sich, daß er im Winter aus Skye weg könnte. „Es ist wild hier“, sagt er, „aber im Sommer ist es erträglich. Da ist die Insel voller Touristen.“
Neben dem Tourismus lebt Skye vor allem von der Landwirtschaft. Noch vor 200 Jahren wurde das Land nach einem besonderen System, dem „Run-Rig“, verteilt: Jede Parzelle oder „Croft“ wechselte alle zwei oder drei Jahre den Besitzer, so daß jeder Kleinbauer den gleichen Anteil an gutem und schlechtem Ackerboden bekam. Das Weideland auf den Hügeln blieb im Allgemeinbesitz. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts änderte man dieses System. Von nun an behielten die Kleinbauern dieselbe Parzelle, weil die Landbesitzer davon ausgingen, daß sie sich dann stärker mit der „Croft“ identifizierten. Die Existenz der Bauern war durch dieses Verfahren freilich keineswegs gesichert, wie die „Highland Clearances“ im 19. Jahrhundert zeigten, als die Familien der Kleinbauern aus den Highlands vertrieben wurden, um Schafen Platz zu machen .
Heute gibt es knapp 1.900 „Crofts“ auf Skye, aber nur rund hundert sind groß genug, daß ein Pächter davon leben könnte. Industrie gibt es auf Skye kaum. Die jungen Leute müssen sich auf dem Festland Arbeit suchen, so daß die Pensionäre auf Skye in der Mehrheit sind. Noch 1840 lebten 23.000 Menschen auf der Insel, heute sind nicht mal mehr ein Viertel davon übrig.
Hinter Uig an der Westküste von Trotternish geht rechts eine Straße nach Vaternish, einer weiteren Halbinsel, ab. Die beiden Halbinseln sehen auf der Landkarte aus wie Flügel. „Auf Gälisch nennt man Skye auch Eilean Sgiathanach“, sagt Angus, „die geflügelte Insel“. Im Südwesten von Vaternish, am Loch Dunvegan, steht hoch auf einem Felsen das Dunvegan Castle. Es ist die älteste Burg in Großbritannien, die ununterbrochen von ein und derselben Familie bewohnt wird – den MacLeods. Der Clangründer war der jüngste Sohn von Olaf, einem der letzten norwegischen Könige der Isle of Man. Wenn man die Gärten vor der Burg betritt, steht man in einer völlig anderen Landschaft: blühende Sträucher, bunte Blumen, dichte Hecken und ein gepflegter englischer Rasen. „Die alten Chiefs wußten, wie man sich einrichtet“, meint Angus.
Aber sie wußten auch, wie man mit Feinden fertig wurde: In den Felsen unter der Burg ist ein Verlies eingehauen, in das im 14. Jahrhundert unliebsame Personen hinabgeworfen wurden. Heute können BesucherInnen von oben durch ein Gitter hinabblicken. Unten liegen zwei lebensgroße Puppen, von einem Tonband dringt erbärmliches Stöhnen nach oben. Gleich neben dem Loch zum Kerker befindet sich der große Salon mit dem Feenbanner, dem „wertvollsten Besitz des Clans“, wie John MacLeod of MacLeod, der 29. Chief, sagt. Die Fahne ist aus syrischer Seide, sie ist etwa 1.500 Jahre alt. Man sagt ihr magische Kräfte nach: Dreimal, so heißt es, könne sie den Clan MacLeod in großer Not retten. Zweimal soll sie in der Vergangenheit bereits erfolgreich enthüllt worden sein.
Von Dunvegan ist es nicht weit bis Drynoch, wo die Straße nach Glen Brittle in den Cuillin Hills – oder Coolins – abbiegt. Die Berge ragen praktisch direkt aus dem Meer fast tausend Meter hoch auf, und die Kuppen sind bis weit ins Frühjahr hinein schneebedeckt. „Die Natur muß etwas Besonderes im Sinn gehabt haben, als sie die Berge von Coolins gegen das Licht der Sonne stellte“, schrieb Henry Vollam Morton vor siebzig Jahren, „ich kann mir schon vorstellen, daß ein Mensch, der zu Neurosen neigt, vor diesen Bergen wie vor dem Teufel flieht.“ Viele Bergsteiger unterschätzen die Cuillins, meint Angus: „Es kommt hin und wieder zu tödlichen Unfällen.“ Glen Brittle besteht lediglich aus einer Farm, die Straße führt mitten durch den Hof zum Loch Brittle. Das Wetter lädt nicht gerade zum Baden ein, und so sitzen acht Urlauberfamilien in ihren Autos und picknicken im Trockenen. Am Ufer steht eine „Haltestelle“: Im Sommer fährt ein Bus an Werktagen dreimal täglich nach Portree.
Angus will jetzt aber zum Loch Harport auf der Halbinsel Minginish. Auf einer kleinen Straße geht es steil hinab zum See. Rechts liegt das Old Inn, eine winzige Kneipe am Wasser, doch ein Stück weiter zieht sich ein moderner Flachbau am Ufer entlang. Hier wird der bekannteste Exportartikel der Insel hergestellt: Talisker Whisky. Robert Louis Stevenson hat das hochprozentige Gesöff in einem Gedicht als „König der Getränke“ gepriesen. Auch James Boswell, Samuel Johnson und Walter Scott haben im Talisker House auf ihren Highland-Reisen übernachtet und, wenn man der Überlieferung glauben darf, dem Whisky kräftig zugesprochen.
Der Malzwhisky verdankt sein Aroma dem Torf, der zum Trocknen des Malzes benutzt wird. Zwei Schafhirten hatten 1830 mit der Brennerei begonnen. Im Besucherzentrum der Brennerei schenkt man uns zwei Gläser ein. „Ich rieche Torf und Seetang“, sagt Angus voller Vorfreude, als er seine Nase ins Glas hängt. Dann nimmt er einen kräftigen Schluck und sagt mit Kennermiene, als ob er den Whisky zum ersten Mal probiere: „Rauchig und würzig mit einem langen Abgang – eindeutig der beste Whisky der Highlands.“
Reiseinformationen: Highlands and Islands (Irland, Wales, Schottland, England), Eisenacher Str. 73, 10823 Berlin, Tel. (030) 7841057, Fax 7812987.
Scottish Tourist Board, 23 Ravelston Terrace, Edinburgh EH 4 3 EU, Tel. (0044-131) 3322433
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen