: Untauglich und gefährlich
■ betr.: „Zwei Welten, kein Frie den“ (Sudan-Fotoreportage), taz vom 18. 10. 95
[...] Wenn Ziel dieser Berichterstattung die Aufdeckung der Untaten einer islamistischen Militärdiktatur ist, sollte man, gerade deswegen, darauf achten, daß man nicht mit der Verwendung von umstrittenen Begriffen das Gegenteil bewirkt.
Aktualität bekam diese These des „Zusammenpralls der Kulturen“ durch den Artikel von S. P. Huntington unter dem Titel „The Clash of Civilization?“ in Foreign Affairs, Bd. 72, Nr. 3, 1993, S. 22–49. Freilich führte der Wegfall des Ostblocks zu einem unvorhergesehenen Vakuum. Die militärischen und politischen Strategen des Siegerblockes verloren den Gegner, da kein äquivalenter Gegenpol vorhanden war, mußte man ihn erfinden. Das westliche Gesellschaftssystem, das sich unter anderem jahrzehntelang im Wettkampf gegen den Osten zu legitimieren versuchte, hatte jetzt erhebliche ideologische Schwierigkeiten, sein Wettrüsten und seine Hegemoniebestrebungen zu rechtfertigen.
Die ideologischen Exponenten dieses Systems versuchen nun unter anderem auch im Gewand der Wissenschaft neue Feindbilder zu imaginieren. Die Theorie über den „Zusammenprall der Kulturen“ oder der Zivilisationen reflektiert die Begriffe Kultur und Zivilisation indifferenziert.
Die internationale Politik wird nach dieser Theorie von der Konfrontation der Kulturen determiniert. Hier werden unter Kulturen primär die Religionen verstanden.
In dieser Theorie kommt dem Islam eine besondere Rolle zu. Sie ignoriert die Vielfältigkeit der islamischen Länder, die sehr unterschiedliche Formen des Islam, historische Entwicklungen der islamischen Völker, die Modernisierungsprozesse und Modernisierungsgrade etc., aber vor allem die inneren Widersprüche in islamischen Ländern.
Daß der Islamismus in islamischen Ländern auch mit gescheiterten „Westlichen Entwicklungsmodellen“ zusammenhängt und als soziopolitische Reaktion auf diese Politik verstanden werden sollte, wird hier nicht berücksichtigt. Gewiß sind Begriffe in der Politik nicht wertfrei. Die von neuen FeindbildmalerInnen entwickelte Theorie des „Zusammenpralls der Kulturen“ will über die realen Ursachen der Kriege und Konfrontationen hinwegtäuschen.
Der sudanesische Bürgerkrieg ist auf keinen Fall als Zusammenprall der Kulturen zu verstehen, sondern als Krieg eines islamistischen Regimes gegen seine Bevölkerung. Es handelt sich hier um den Kampf für Freiheit und Autonomie. Die sudanesische Regierung versucht die Religion zu instrumentalisieren, um ihre Herrschaft zu festigen. Die Existenz der Religionen im Sudan ist an sich nicht die Ursache des Krieges, sondern vielmehr die Ideologisierung des Islam als Herrschaftsinstrument.
Der Begriff „Zusammenprall der Kulturen“ kann nicht die Kausalität der aktuellen Bürgerkriege in der Welt erklären. Der Krieg der sunnitischen türkischen Regierung gegen die sunnitischen kurdischen Kämpfer, der Krieg der afghanischen Mudjahedin gegeneinander, die sogar zum großen Teil islamistisch orientiert sind, die Aufstände der pakistanischen Muhadjer-Minderheit gegen die herrschende Mehrheit in diesem Lande usw., all dies deutet darauf hin, daß diese Theorie für die Erklärung der aktuellen Ereignisse der Welt nicht nur untauglich, sondern auch sehr gefährlich ist.
Der Versuch, durch so eine Theorie den grausamen Krieg des sudanesischen Regimes gegen die Völker dieses Landes zu erklären, schürt auch in der Bundesrepublik Haß und verursacht mehr Distanz zwischen den Menschen mit verschiedenen Kulturen und Religionen. Die taz, so meine ich, sollte im Kontext der Konflikte solche Begriffe auf keinen Fall pauschal und kommentarlos benutzen. R. Dadfar Spanta, Aachen
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