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Bittere Antibabypillen

Die schädlichen Folgen der Mikropillen sind den Behörden seit Jahren bekannt  ■ Von Wolfgang Löhr

Die Warnung der britischen Arzneimittelbehörde kam nicht überraschend. Schon seit Jahren gibt es Hinweise, daß mehrere niedrigdosierte Verhütungsmittel zu lebendsbedrohlichen Blutgerinnseln führen können. Herzinfarkt, Schlaganfall oder Lungenembolien können die Folge sein. Vor wenigen Monaten erst sorgte der Tod der 16 Jahre alten Nancy Berry aus Kent für Schlagzeilen in der britischen Presse. Ihr Schicksal wird mit einem der sieben Verhütungsmittel in Zusammenhang gebracht, die auf der Liste der britischen Behörden stehen: die Schering-Präparate Femodene, Femodene-E und Trialene; Minulet und Tri-Minulet des Herstellers Wyet und die vom niederländischen Unternehmen Organon hergestellten Pillen Marvelon und Mercilon. Etwa 1,5 Millionen Frauen, die eine dieser Pillen nehmen und unter Beinschmerzen, anhaltenden Kopfschmerzen, Luftnot oder stark beschleunigtem Atem leiden, sind jetzt aufgerufen, sich sofort zum Arzt zu begeben.

Noch vor wenigen Jahren schien der Siegeszug der Antibabypille unaufhaltsam zu sein. Millionen Frauen hatten jahrlang erleichtert zu den Hormonpillen gegriffen, bis die erste Hiobsbotschaft kam: Das in den Pillen vorhandene Hormon Ethinylestradiol, ein synthetisches Östrogen, kann Brustkrebs auslösen. Seit über zwei Jahren ist nun in den Beipackzetteln der Verhütungspillen unter den Nebenwirkungen auch die Thrombosegefahr aufgeführt.

Noch in den siebziger Jahre hatte man angenommen, daß mit der dritten Generation der Antibabypille diese Gesundheitsgefahren gebannt wären. Im Vergleich zu den Vorläuferpräparaten enthielten die neuen Verhütungsmittel nur einen Bruchteil der Östrogendosis. Diese Reduzierung konnte nur erreicht werden durch die Kombination mit synthetischen Varianten des Hormons Progesteron, die auch als Gestagene bezeichnet werden. Alle von den britischen Behörden genannten Pillen enthalten entweder das Gestagen Desogestrel oder aber wie die Schering-Präparate Gestoden.

„Blutdruckneutral“ und „stoffwechselneutral“: das waren die Slogans, mit denen Schering die gestodenhaltige „supersanfte Mikropille“ Femovan im Mai 1987 hierzulande auf dem Markt einführte. Auch das Werbeverbot für Arzneimittel in der Laienpresse hinderte den Pharmakonzern seinerzeit nicht daran, mit einer beispiellosen Anzeigenkampagne in die Teenagerpresse zu gehen. In Frauenarztpraxen wurden Musikkassetten verteilt; zwischen den Popsongs waren Werbesprüche wie „Du verträgst Femovan so gut“ zu hören. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Femovan wurde zum Umsatzrenner und trug keine drei Jahre später schon 1,5 Prozent des Weltumsatzes bei Schering ein.

Bereits bei der Zulassung wurden von Mitarbeitern des Bundesinstituts für Arzneimittel Bedenken angemeldet. Es dauerte dann auch nicht lange, bis die ersten Meldungen über bedrohliche Nebenwirkungen eingingen, und kurz darauf, 1989, leitete die Berliner Arzneimittelbehörde das Stufenplanverfahren I ein: Die Ärzte waren aufgefordert, alle Nebenwirkungen der niedrigdosierten Pillen an das Amt zu melden. Das Ergebnis: Die vom Arzneimittelinstitut registrierten Nebenwirkungen, die mit Femovan in Verbindung gebracht wurden, gingen besorgniserregend in die Höhe. So wurden für die Schering-Pille im Vergleich zu einem Konkurrenzprodukt etwa zwölfmal häufiger Hirndurchblutungsstörungen gemeldet, schrieb der Herausgeber des pharmakritischen arznei-telegramms, Ulrich Moebius.

Die federführenden Sachbearbeiter im Amt wollten die Zulassung für Femovan zurückziehen. Hatte sich der Leiter des Arzneimittelinstituts, Professor Alfred Hildebrandt, anfangs mit dieser Maßnahme noch einverstanden erklärt, weigerte er sich später, den Brief zu unterschreiben. Insbesondere der Leiter für die Abteilung Risikoerfassung und Abwehr, Gottfried Kreutz, weigerte sich, die Anordnung mit zu tragen, er warf seinen Untergebenen unwissenschaftliches Arbeiten vor. Kreutz hatte sich auf die Seite des Pharmakonzerns Schering gestellt, der darauf beharrte, daß die gemeldeten Daten nicht auswertbar seien: Femovan berge kein höheres Risiko als andere vergleichbare Mikropillen auch.

In der Arzneimittelbehörde brach offener Streit aus. Obwohl die Fachbeamten nachweisen konnten, daß Schering mit „irreführenden“ Daten über Nebenwirkungen hantierte, die der Überprüfung nicht standhielten, wurden die Arzneimittelwächter nicht aktiv. In einer Gespächsnotiz vom März 1991 heißt es: „Schering operiert mit diesen falschen Zahlen und Vergleichen gegenüber Ärzten [...]. Wenn das Amt hierzu schweigt, macht es sich zum Komplizen.“ Trotzdem durfte Femovan weiterhin verschrieben werden. Auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde, die der Arzneimittelkritiker Moebius bei Gesundheitsminister Horst Seehofer wegen „Untätigkeit“ der Arzneimittelbehörde einreichte, änderte nichts an der Situation. Ebensowenig wie ein von vierzehn wissenschaftlichen Mitarbeitern unterschriebener Protestbrief an die Institutsleitung, in dem von einem gestörten Vertrauensverhältnis zum Vorgesetzten Gottfried Kreutz die Rede ist.

Bis heute sind allein für Femovan über 400 Thrombosefälle bei der Berliner Arzneimittelbehörde registiert, zehn Todesfälle werden in Deutschland mit der Schering- Pille in Zusammenhang gebracht. In Großbritannien haben sich über 200 Betroffene und Familienangehörige zusammengetan und bereiten eine Klage gegen Schering vor. 45 Frauen sollen dort an gestodenhaltigen Schering-Pillen gestorben sein. Trotzdem hält der Berliner Pharmakonzern die halbherzige Warnung der britischen Behörden für unangemessen. In einer Erklärung heißt es: „Schering beurteilt diese Kontrazeptiva als sicheren und wichtigen Beitrag für die Gesundheit der Frau.“

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