Ausgedient: schlechtes Gewissen

■ Den großen Wohlfahrtsverbänden laufen die Ehrenamtlichen weg. Selber schuld, sagen Fachleute.

Das Ehrenamt steckt in der Krise. Die Anzeichen sind unübersehbar: Nicht nur den Kirchen und Parteien laufen die Mitglieder weg; schon lange schrumpft auch der HelferInnenpool der großen Wohlfahrtsverbände. Doch während die noch über Ursachen rätseln oder per Drückerkolonne Mitglieder werben, um wenigstens finanzielle Verluste zu mindern, konzipieren andere schon tragfähige Gegenbewegungen. Heinz Janning, Chef des Sozialen Friedensdienstes (SFD) in Bremen, gehört dabei zur Vorhut. Gestern lud er gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände zu einer Debatte neuer Modelle der Freiwilligenarbeit ein. Dabei brachte die Analyse des Status Quo manche Überraschung.

Überraschung Nummer eins: Ehrenamtliche verabschieden sich aus den großen Wohlfahrtsverbänden nicht deshalb, weil das traditionelle Ehrenamt heute weniger Prestige als früher bringt – und auch nicht deshalb, weil sie materielle Entschädigung erwarten, die nicht bekommen. Die Freiwilligen, in der Mehrzahl Frauen zwischen 40 und 65 Jahren, haben es vielmehr satt, einfach nur konzeptlos und billig eingespannt zu werden. Die alte Klebe aus traditionellem Zugehörigkeitsgefühl und schlechtem Gewissen halte nicht mehr, erklärte gestern der Sozialforscher Hans Oliva. Stattdessen, so der Referent aus Köln, zählten Spaß und Selbstbestätigung bei der Freiwilligenarbeit. Weil die bei den großen Trägern jedoch rar sind, wandern Ehrenamtliche in die wachsende Selbsthilfebewegung ab. Die Misere der großen Wohlfahrtsträger sei also „hausgemacht“.

Überraschung Nummer zwei: Ihre Aktionsfelder wählen die Freiwilligen weitgehend Zeitgeist-unabhängig. Den Ausschlag gibt stattdessen, ob man Neues bei dieser Art von Arbeit lernen kann. Das ergab eine Umfrage des Bremer Professors für Sozialpädagogik, Jürgen Blandow. Danach schneiden die Hospizbewegung, die Aidshilfen und die Bremer Telefonseelsorge in ihrer Bewertung gleichermaßen gut ab – obwohl die Telefonseelsorge doch von der evangelischen Kirche getragen wird und die zugleich unter Mitgliederschwund leidet. Die Erklärung dafür ist einfach: „In allen drei Einrichtungen geht man vorbildlich auf die Bedürfnisse der Freiwilligen ein – und das zählt“, sagt Heinz Janning, der an der Studie mitarbeitete. Eine gründliche Ausbildung bei der Telefonseelsorge beispielweise bringe den Menschen neue Kompetenzen. Darauf komme es innovationshungrigen Freiwilligen an. Ein weiterer Beleg sei doch der Zuspruch, den die neugegründete „Bremer Tafel“ erhalte. Die meisten Einrichtungen, von den Parteien bis zu den Sportvereinen, müßten erst noch begreifen: „Es nützt nichts, nur ein paar Mark für Übungsleiter oder Hilfskräfte locker zu machen. Wer sich engagiert, will ernst genommen werden.“ Die VertreterInnen aus Wissenschaft und Praxis waren sich gestern einig: „Freiwilliges Engagement läßt sich nur noch entlang einer zündenden Idee hervorlocken.“

Das Konzept einer zündenden Idee stellte gestern der Soziale Friedensdienst selbst vor: Eine Vermittlungsagentur für Ehrenamtliche soll das dritte Standbein seiner bisherigen Arbeit sein, die seit fast 25 Jahren in der Knautschzone zwischen Freiwilligenarbeit und ihrer Funktionalisierung durch staatliche Sparzwänge rangiert. Zur ursprünglichen Aufgabe, der Vermittlung von Zivildienstleistenden, kam später die Organisation des Freiwilligen Sozialen Jahres – und nun vielleicht die Freiwilligen-Agentur als letztes Ergebnis gedanklicher Konversion: „Als die Diskussion über die allgemeine Wehrpflicht auftauchte, wollten wir nicht nur dagegen sein, sondern auch Alternativen aufzeigen.“ Auch die frühere Debatte um die Abschaffung des Zivildienstes bestärkte den SFD in seiner Idee. Nun soll sie allen Betroffenen helfen: „Wunderschöne Tätigkeiten“ würden in solchen Einrichtungen angeboten, sagt Janning. „Vom Bäumeschneiden bis zum Spieleverteilen im Spielhaus“. Arbeitsplatzbeschreibung inklusive. Niemand müsse dann noch fürchten, statt der verabredeten zwei Stunden Jugendarbeit in der Kirchengemeinde beispielsweise am Ende für sieben Stunden vereinnahmt zu werden. So würden HelferInnen geschützt, sagt Janning – und möglicherweise auch potentielle Opfer ehrenamtlicher Arbeit.

Nur eitel Sonnenschein herrscht auf dem ehrenamtlichen Acker nämlich nicht: Guter Wille tut nicht immer gut. Man denke nur an den Advent. Für manche Seniorin im Altenwohnheim der Horror: Regelmäßig rücken ihr gute Seelen samt Trompeten, Liederbüchern und Keksen auf die Pelle – ein wenig mehr Koordination an der rechten Stelle könne oft das Schlimmste verhindern, empfiehlt Janning. Derweil könnten die Hilfsbereiten da eingesetzt werden, wo man sie wirklich braucht. Für die Bremer Heimstiftung erarbeitet er schon ein Konzept für den Ehrenamtlichen-Einsatz.

Eva Rhode