: Töne für den Teddybär
■ Alan Burn, musikalischer Leiter des Schauspiels am Goetheplatz, verwandelt ein Buch in ein Singspiel
Schiller brauchte mindestens eine Schublade voll vergammelter Äpfel, der wahre Existentialist die Filterlose im Mundwinkel, und ein Tom Waits-Epigone, der auf sich hält, trinkt kein Mineralwasser. Was tut man nicht alles, um die Muse zum inspirierenden Kuß zu verführen? Wer sagt eigentlich, daß die flüchtige Küsserin der Künstler gerade auf Alkoholfahne, Stoppelbärte und kalten Zigarettenrauch steht.
Alan Bern etwa verbucht seine Erfolge im Bett. Morgens um sieben, wenn andere Leute den Wecker erschlagen und gähnend in Bad taumeln, zwingt er sich, im Bett zu bleiben. Schließlich ist das seine kreativste Stunde - morgens, bevor der Lärm des Tages die Ohren verschmutzt.
„Wenn ich aufwache und so zwischen Schlaf und Wachen bin, dann bleibe ich ganz still liegen und denke an meine Musik. In Gedanken löse ich die Probleme aus der letzten Probe. Die einzelnen Szenen höre ich mir dann genau an und stoppe sie im Ablauf, wiederhole bis es mir gefällt. Zum Glück funktioniert diese Technik, mit der ich Varianten vor meinem inneren Ohr abspiele.“ Zur Zeit sind das Varianten von Pu der Bär.
Alan Bern, der seit 1994 der musikalische Leiter des Schauspiels ist, hat schon die Musik für beide Teile von Tony Kushners „Engel in Amerika“ geschrieben. Nun hat er für das Bremer Theater die gesamte Musik zum Singspiel um die beliebte Kindergeschichte komponiert. Zum ersten Mal in der Erfolggeschichte von „Pu der Bär“ wird es Töne für den kleinen Bären geben. Alan Bern ist dabei, sie zu komponieren. Aber auch neue Melodien für die gesamte Tier- und Menschengesellschaft entstehen für die Fassung, die jetzt unter Regisseurin Irmgard Paulis in der Bearbeitung von Heleene Verburg Premiere hat.
Nachdem der Pianist Bern in den 70ern seinem Klavier kurzfristig den Rücken gedreht hatte, („Im Grunde ein sehr höfliches Instrument, das nur in der großbürgerlichen Konventionen des Musikbetriebes Bestand hat.“ ) ist er auf Entdeckungsfahrt, sein Sextant ist die Musik. Mit dem Akkordeon verfolgte er die Spuren der Volksmusik zurück und landete plötzlich im Zentrum des Klezmer-Booms. Seine Band „Brave Old World“ führt in letzten Jahren in Berlin die Klezmer-Bewegung an. „Das war fast zuviel des Klischees, als Jude ostjüdische Musik zu spielen.“, beschreibt Bern seine Situation als freier Musiker.
Der Komponist Bern ist radikal, bequeme Lösungen läßt er nicht gelten. „Oft wird in der Musik einfach nur das wiederhergestellt, was man eh schon kennt. Das interessiert mich nicht. In der Werbung wird so gearbeitet. Natürlich weiß man in Amerika, wo ich ja herkomme, wie die Musik zum Werbeclip für die Restaurantkette „Taco Bell“ zu klingen hat.“
Entsteht die Musik für „Pu der Bär“ wirklich von Anfang an? Auch für die musikalische Untermalung von Kindergeschichten mit kleinen Tierhelden gibt es Vorbilder. In Walt Disneys Zeichentrickfilmen scheinen die Figuren zu jeder Bewegung eine ganz sorgenfreie Note zu pfeifen.
Blüht auch dem Pu solch eine bunte fröhliche Zukunft? „Für mich ist diese abrufbare Kindergeburtstagsfröhlichkeit eine Art Bierzeltmusik. Ich halte das für gefühlszerstörerisch. Man muß Kinder ernster nehmen, ihre Wahrnehmung ist viel feiner.“
Die grundlegende Stimmung in der Bühnenversion von „Pu der Bär“ sei jedoch weit offener und differenzierter, als die übliche Vorstellung vom Kinder-Theater. „Dem Jungen Christopher Robin geht es wie uns allen, ums Erwachsenwerden. Dazu muß man sich von etwas lösen, das einem lieb und teuer geworden ist, damit etwas Neues beginnen kann. Das macht auch traurig.“
Kein Wunder, daß die Figur des 6-jährigen Christopher Robin bei Alan Bern nicht mit dem berühmten Mickymousing unterlegt wird, das jeder Figur nach Art des Zeichentrickfilms zu ihren Bewegungen lustige quietschende Laute zuordnet. Im Gegenteil, durchaus psychologisch sei die Melodieführung und an der Tradition der klassischen Moderne angelehnt. Aber schließlich spielt ja nicht nur der blonde Robin auf der Bühne, sondern vor allen Dingen, Pu der Bär. „Über Nichtstun und andere Notwendigkeiten“ lautet der Untertitel der Bremer Fassung, die die Polarität zwischen zwei Lebenshaltungen zum Ausgangspunkt nimmt: Was Robin in Komplikationen stürzt ihn unzufrieden macht, läßt Pu ganz ruhig. Er ist mit sich zufrieden, ruht in seinem Bärenkörper, auch wenn er mit seinen Rundungen schon mal im Kaninchenbau steckenbleibt. Wie sich das im Theater anhört? „Blues, Tango und afrikanische Rhythmen. Alle möglichen musikalischen Sprachen sind in die Darstellung der Tierwelt eingeflossen. Aber wenn Pu selbst spricht, dann dichtet er in festen Formen, deshalb brauchte es einen freien Rhythmus, auf den ich das alles legen kann. Die Melodie selbst ist mir dann zugeflogen.“
Mit den Melodien scheint sich Alan Bern eh nicht so schwer zu tun. Deutlich wird das in der Frühstücksszene, in der alle Tiere des Waldes gemeinsam speisen. Für welchen Komponisten wäre das nicht die große Herausforderung, um an dieser Stelle den reißerischen Ohrwurm zu plazieren? Im Sinne von „Oh, was sind wir alle glücklich.“ Eine fröhliche Familienszene wie aus der Kelloggsreklame hätte nahegelegen.
Doch Alan Bern setzt die Frühstücksszene aus einem Chor zusammen, zu dem jedes Tier nur eine kleine Tonfolge beiträgt. Die Gruppe wird zum Chor, in dem Christopher Robin die Gesellschaft für seine Reise zum Erwachsenwerden findet. Die Vertonung von A. A. Milnes Geschichte von Pu, dem Bären mit dem geringen Verstand, scheint zu ihrem Ziel zu kommen. Alan Bern segelt immer gern im experimentellen Fahrwasser.
Susanne Raubold
Premiere morgen, 11.30 Uhr, Theater am Goetheplatz
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