■ Normalzeit
: Ku'damm-Philosophen unter sich

„Was immer Sie treiben wollen“, schrieb 1969 die Spekulantenbündlerin Sigrid Kressmann- Zschach in ihrem Anlegerprospekt „Ku'damm-Karree“, „hier können Sie es unter einem Dach.“ Das war nicht zuviel versprochen: Zur Lietzenburger Straße gibt es Bars und Bordelle, zur Uhlandstraße frauenfreundliches Parken und Einkaufen, zum Ku'damm zwei Boulevardtheater und im Hochhaus in der Mitte Büros und Schwindelfirmen. Die unteren Passagen wurden in den letzten Jahren zunehmend von jugoslawischen und albanischen Gangs zum Aufreißen und Ausbaldowern genutzt.

Der Karree-Besitzer Roth verordnete nun dem 14teiligen Bau- Ensemble eine Rundumerneuerung zur Imageverbesserung, was er sich 200 Millionen Mark kosten ließ. Die „Adler-Moden“ werden ersetzt durch die Zentrale von „Foto Wegert“, und das neue große Restaurant wird „Reinhard's“ betreiben. Die Tanzschule im Hochhaus zog aus, und das 22 Stockwerke hohe Gebäude wird ein reiner Büroturm.

Noch ist alles Baustelle, aber schon erläuterten die Gebrüder Wegert dort ihre neue Firmen- „Philosophie“: „Der Ku'damm wird in den nächsten Jahren interessanter sein als die Friedrichstraße. Wir versuchen hier den Service so hoch wie möglich zu schrauben, damit der Kunde sich in einem vollklimatisierten Haus wohl fühlt!“ Dazu will man z.B. die Fahrstühle wieder mit Liftboys, „in den Wegert-Farben“ uniformiert, ausstatten und 130 neue Mitarbeiter einstellen. Der Eingang wird mit rotem Granit verkleidet, die beiden Theater bekommen Baldachine und der zentrale Erdgeschoßbereich soll Piazza heißen.

Die größte Überraschung auf der üppig von Speisen und Getränken flankierten Pressekonferenz war ein In-Kontakt-Bleibe- Geschenk an die anwesenden Medienvertreter: Jeder bekam ein Funktelefon von Motorola (ein Handy, wie wir es sogleich zärtlich nannten). Zuvor hatte ich bereits auf ähnlichen Baustellen- PKs einen „Drucker“ und einen „Personalcomputer“ sowie ein Visitenkartenset und eine Aktentasche abgestaubt.

Nun – mit dem Handy – war meine journalistische Ausrüstung perfekt. Und sie brachte mich sogleich auf einen Gedanken von Andy Warhol zurück: „Gebt den Armen der Stadt keine Sozialhilfe, sondern nur genügend Wasch- und Reinigungsgelegenheiten: Wer sauber und anständig rumläuft, kann sich überall kostenlos durchschnorren und Kontakte knüpfen!“ Zwar hapert es bei mir noch mit den sauberen Fingernägeln, auch beim Kauf meiner Schuhe lasse ich mich immer noch zu sehr von Billigangeboten leiten (wie mir ein Blick auf die Fußbekleidung der leitenden Wegert-Angestellten – alles „Budapester“ – bewies). Und mit meinen von Spiegel-Kuhlbrodt übernommenen Jeans und meiner ausgebeulten Humana-Jacke unterschied ich mich nur minimal von den ca. 30 anwesenden Springerjournalisten, die später jedes einzelne Wort der sechs Ku'damm-Karree-Manager in Nadelstreifen mitschrieben. (Ich notierte einstweilen: „Die Stahmer hat jetzt einen langhaarigen Modeberater, von Hemden Neumann, d.h. von deren Label Claasen!“ Da konnte ich mithalten: „Diepgen hat sich extra den kurzhaarigen Alzheimer-Berater von Reagan einfliegen lassen!“) – Aber man ist doch immerhin auf dem richtigen Weg: „Vom häßlichen Entlein zum stolzen Schwan“, wie die Geschäftsleitung das Uplifting ihres Ku'damm-Karrees romantisch- poetisch zusammenfaßte. Helmut Höge

wird fortgesetzt