piwik no script img

Dinopark und Cyberspace

■ Das Bochumer Schauspielhaus steht kurz vor der Eröffnung der ersten Spielzeit von Leander Haußmann. Ein Gespräch mit dem Chefdramaturgen C. G. Hegemann

Selten wurde ein Stadttheater so umgekrempelt wie bei dem Intendantenwechsel von Frank-Patrick Steckel zu Leander Haußmann – vom 52jährigen West-, zum 36jährigen Ostregisseur.

„Noch fünf Jahre bis zum Jahr 2000“ – „Noch zehn Jahre bis zum Ende des subventionierten Theaters“ – „Noch 15 Jahre bis zum Verschwinden der physikalischen Gesetze“, verkünden Spruchbänder über dem Eingang des Bochumer Schauspielhauses. Der zweite Spruch zitiert Steckel und beschwört die Gefahr, die nach dem Ende von Leander Haußmanns Intendanz drohen könnte. Der dritte Spruch des kalifornischen Schamanismusforschers Terence McKenna ist die Verheißung, denn seine Fortsetzung lautet: „...und der Freilassung des Geistes in sich selbst.“

Vor dem Erscheinen des Weltgeistes zelebriert die neue Mannschaft zunächst die Erwartung auf die Spielzeiteröffnung; am kommenden Wochenende gibt es die ersten Premieren. Wir sprachen mit dem neuen Chefdramaturgen Carl Georg Hegemann, der von Frank Castorfs Volksbühne in Berlin nach Bochum wechselte, über Stadttheater für die Informationsgesellschaft und die Mütter der Hausregisseure Leander Haußmann, Jürgen Kruse und Dimiter Gotscheff.

taz: Das Bochumer Schauspielhaus bereitet sich auf die Zukunft vor. Hat das Theater überhaupt noch eine Zukunft?

Carl Hegemann: Das Theater muß sich auf das besinnen, was in den anderen Medien nicht möglich ist, auf den Begegnungscharakter, die Unsicherheit, daß man nie weiß, was an dem Abend passiert. Es muß sich als ein Ort für anspruchsvolle, säkularisierte Rituale begreifen: das Ritual retten, ohne hinter die Aufklärung zurückzufallen, ohne Gott und ohne Dogmatismus. Die Fähigkeit, Ungewißheit zu ertragen, wird entscheidend, nicht der Glaube an irgendwelche ewigen Wahrheiten. Das Theater macht seit 2.500 Jahren etwas, was heute, nachdem der Tod Gottes langsam durchgedrungen ist, alle anderen erst mühsam lernen müssen. Es gibt „virtual reality“-Leute, die Computerprogramme für Cyberspace machen, die sich ernsthaft mit Theaterwissenschaften beschäftigen und die Dramentheorie des Aristoteles propagieren.

Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zu Frank-Patrick Steckel, dem bisherigen Intendanten?

Analogien zu Steckel, was die Einschätzung der Weltlage betrifft, gibt es auf jeden Fall. Wir gehen damit aber anders um. Für uns ist diese völlige Ungewißheit eine Herausforderung. Man kann auch Spaß haben, ohne sich was vorzumachen. Der ambivalente bürgerliche Freiheitsbegriff kommt heute zu Dimensionen der Verwirklichung, die nur noch durch den Tod begrenzt sind, und der bleibt bis auf weiteres nicht übersteigbar. Ein Theater, das sich nicht mit dieser radikalen Endlichkeit, diesem antiutopischen Faktum des individuellen und möglicherweise auch globalen Todes beschäftigt, kann seiner Aufgabe nicht gerecht werden. Das verbindet uns mit Steckel.

Es ist nicht unser Programm, wie im Fronttheater zu sagen: Den Leuten geht es schlecht, wir machen wenigstens für zwei Stunden gute Stimmung. Man wird das bei den Eröffnungsveranstaltungen sehen, das sind alles künstlerisch kompromißlose, dem Zuschauer etwas abfordernde Inszenierungen. Da dürfen wir die Latte nicht zu tief legen, auch wenn wir hinterher darunter hersegeln.

Das Bochumer Schauspielhaus ist im Gegensatz zur Berliner Volksbühne, an der Sie bisher gearbeitet haben, ein Stadttheater. Was heißt das für Sie?

Ein Stadttheater kann per definitionem nicht nur ein Theater für einen bildungsbürgerlichen Kern sein. Alle müssen angesprochen werden, vom Punk bis zu den Honoratioren. Das, was sich in Berlin auf verschiedene Theater verteilt, müssen wir in einer einzigen Institution machen. Wir wollten mal an das Große Haus „Dinopark“ schreiben und an das Kleine Haus „Cyberspace“. So sollte jedes Haus für eine Seite dessen stehen, was wir wollen: gleichzeitig Museum und Experiment.

Wie stellen Sie sich diese Umstrukturierung des Publikums vor?

Wir versuchen, ein Theater zu machen gerade für Theaterverächter, denen das sonst immer alles zu langweilig und zu doof und zu hochgestochen und zu „vollkommen außerhalb jeden echten Problems“ ist. Es soll Streit geben. Das ist für mich ein Kriterium einer gelungenen Veranstaltung, wenn fünfzig Prozent es absolut schlecht finden und fünfzig Prozent total begeistert sind. Noch besser ist es, wenn sich diese Teilung nicht nach Jung und Alt aufschlüsseln läßt, wenn das quer durchgeht, wenn ein Riß durchs Publikum geht, der soziologisch nicht erklärbar ist.

Drei feste Regisseure sollen die Arbeit am Bochumer Schauspielhaus prägen: Leander Haußmann selbst, Jürgen Kruse und Dimiter Gotscheff. Was verbindet die drei?

Haußmann hat sich gefragt: Wer ist am weitesten von mir entfernt, und wen mag ich trotzdem? Haußmann bezeichnet sich selbst als zuständig für das „Halbkonventionelle“. Bei ihm wird noch richtig Theater gespielt, wenn auch mit viel Ironie und Selbstironie. Die anderen beiden sind untereinander noch einmal gleich weit voneinander entfernt wie Haußmann, auch was die Publikumsreaktionen betrifft. Jemand, der Kruse gut findet, findet meistens Haußmann nicht so gut und umgekehrt. Sie sind gleich alt, sie stehen beide auf Rockmusik, aber da hört es schon auf. Kruse macht wirklich Rituale der Ratlosigkeit und des Verschwindens. Haußmann sagt, er will, daß es seiner Mutter gefällt. Und es gefällt ihr. Kruse sagt auch, daß er will, daß es seiner Mutter gefällt, aber er macht deshalb keine Kompromisse. Es gefällt ihr aber trotzdem, sagt sie zumindest. Gotscheff kommt beim Feuilleton am besten weg, weil er die Theaterästhetik der letzten Jahrzehnte nicht in Frage stellt. Ich glaube aber, daß sich das gerade bei ihm ändert. Das Komische ist, daß sich die drei bis jetzt unglaublich gut verstehen.

Gibt es eine gemeinsame Grundlinie für den Spielplan?

Der Spielplan folgt kurioserweise über weite Strecken einem ganz klaren Konzept. Haußmann sagt, das haben wir gar nicht selbst gemacht, das hat die Zeit gemacht. Das Thema ist: Wie lebt man in einer Zeit, in der es eine Theorie oder einen Grundkatechismus, in dem steht, woran man sich halten kann, nicht mehr gibt? Wie kann man das ertragen, ohne völlig den Spaß zu verlieren, und es sogar als Chance begreifen? Die Stücke der Eröffnungsinszenierungen fügen sich unter diese Fragestellung. Insofern ist der Titel des Tschechow- Stücks „Die Vaterlosen“ programmatisch.

Worin besteht denn der Spaß beim Theatermachen?

Adorno meinte, die Philosophie gewähre das einzige Glück, das einem bleibe: das Unglück triftig zu formulieren, es auszusprechen und in eine Form zu bringen. Dagegen haben wir damals immer gesagt, in dieser Eiswüste der Abstraktion, da ist das Leben genauso tot wie in den Bereichen, die dadurch kritisiert werden.

Im Vergleich mit der Philosophie ist das Theater ein Medium, das ganz ähnliche Reflexionsmöglichkeiten hat – aber eben nicht in der Eiswüste der Abstraktion, sondern als umfassender, sinnlicher Vorgang. Und wenn Philosophie, wie Hegel sagte, ihre Zeit, in Gedanken gefaßt, ist, dann faßt das Theater seine Zeit in Bilder und Worte, in optisch-sinnliche Ereignisse. Mehr kann es sowieso nicht. Das Theater wird auch nach dem Jahr 2000 nicht totzukriegen sein, aber dann ist es vielleicht nur noch ein exklusives Vergnügen für die ganz Reichen und ein paar Freaks in irgendwelchen Kellern, der Rest wird elektronisch abgespeist. Davor habe ich Angst.

Das Gespräch führte

Gerhard Preußer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen