Sanssouci: Vorschlag
■ HausbesetzerInnen sehen fern: Das Videomagazin von AK Kraak
Die Tagesthemen beginnen mit einem Tusch, bei dem sich per Computer die Weltkarte verbiegt. Die 13. Lieferung des Videomagazins AK Kraak zeigt zum Einstieg, wie Käpt'n Nemos Unterwasserboot von einem Oktopus angegriffen wird. Danach sieht man Trommler am Lagerfeuer und Freaks, die in Tümpeln baden. Statt offizieller Nachrichten behandelt das Hausbesetzerfernsehen sich selbst und die Szene. Mit einfachen Mitteln – Handkamera, Überblendungen und Toncollagen – werden Berichte zusammengestellt, die in der neuesten Ausgabe von Abschiebeknästen bis Techno reichen. Nebenbei parodiert man die staatstragenden RednerInnen des Autonomie-Kongresses als Blues-RockerInnen, und es gibt ein „Bingo“-Gewinnspiel für diejenigen, die zwölf im Sendeblock versteckte PKK-Symbole entdecken – fast wie auf RTL. Später trifft sich das Filmteam mit einer lesbischen Wagenburg-Besatzung zum Rudern auf der Spree und begleitet Punks beim Plündern eines Penny-Marktes während der Chaostage in Hannover. Von routinemäßigen TV- Features unterscheidet sich dieses muntere Sammelsurium aus politischer Off-Berichterstattung, Kabarett und allem Unsinn, der im BesetzerInnenalltag anfällt, darin, daß Kommentare auf die Wiedergabe von Informationen beschränkt bleiben. Niemand fährt den Betroffenen meinungsstark über den Mund, wenn sie etwas über ihre Situation erzählen. So erfährt man von einem Libanesen in zusammenhängenden Sätzen, daß seine Aufenthaltsgenehmigung gelöscht wurde, als sich seine deutsche Ehefrau nach zwölf Jahren scheiden ließ. Von kurzen Demo- Märschen unterbrochen, zeichnet der Beitrag über Abschiebung den Werdegang vom Asylgesetz bis zur Praxis in „Abschiebegewahrsamskapazitäten“ nach, wie der Senat die Gefängnisse in Plötzensee oder Grünau nennt. Zurück in einem besetzten Haus, spielt sich ein Stück Realsatire ab. Eine gewisse Doris aus Hecklenberg ist Eigentümerin der Linienstraße 158. Unter Polizeischutz begeht sie ihr zukünftiges Heim, schnüffelt in Schränken und Schlafsäcken, dann giftet sie einige verpennte Besetzer an, weil es in der Bude stinkt: „Hier möchte ich nicht leben.“ Aber das verlangt ja auch niemand. Am Ende des Video-Tapes explodieren einige Dutzend Atombomben mit Gruß an Chirac – es war ein langer Sommer, nicht bloß für die Szene. Harald Fricke
AK Kraak, heute, 23 Uhr, vor dem SO36; am 27.10. Besetzercafé Marchstraße; 29.10. Café Anal, Muskauer Straße; 2.11. H-Bar, Brunnenstraße 6/7, und jeden Mittwoch im Kellerkino Dresdener Straße, jeweils 20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen