Lichtspiele: Haltloses Gerede
■ Genrekino: Rohmers Homemovies zeigen edle Wilde wie dich und mich
Mein erster Rohmer-Film war „Die Sammlerin“, ich habe ihn Ende der sechziger Jahre gesehen, aber nicht in den Altenwerder Lichtspielen, die hatten 1968 ihre Last-picture-Show gehabt. Aber für Rohmer wäre das Dorfkino meiner Eltern sowieso der falsche Ort gewesen.
Und was soll ich sagen: Diese Quasselfilme gefielen mir auf Anhieb, obwohl sie nichts mit richtigem Kino zu tun hatten.
Schweig, damit ich dich sehe, diese schöne Lakonie des Kinos – und nun das: haltloses Gerede über Gott und die Welt und, vor allem, die Liiieeebe („l'amour“). Junge Paare, französische auch noch, die flirten, zanken, ein bißchen fremdgehen („oh, là, là“) – und permanent schrappeln über die Vorzüge der Trabantenstädte, des Alleinlebens, der Windhühner; warum man den, der einen will, nicht wollen können darf und Liebe auf französisch diesen zartbittren Geschmack haben muß. Das ganze schreckliche Franzosenprogramm eben. Aber sind wir Anfang zwanzig nicht alle Franzosen? Doch, das sind wir.
Von Schauwerten und production values keine Rede, und man kann Rohmer sicher manches vorhalten, aber nicht, daß er sein kleines, aber feines Publikum mit einem Übermaß an Pyrotechnik und special effects überwältigt hätte. Für Hollywood-Verächter ist schon das sicher ein Grund, Rohmer zu schätzen. Aber wir anderen, wir Hartgesottenen, warum sehen wir uns nun seit einem Vierteljahrhundert diese Filme, eigentlich ist es immer derselbe, an?
Weil wir uns selbst zusehen. Ja, das sind wir, so reden wir, so versuchen wir, den Preis – das ist in der Regel die Frau („la femme“) – zu gewinnen. Und im Unterschied zum wirklichen Leben, wo unsere ganze Aufmerksamkeit auf das Ziel der Verführung gerichtet ist – und außerdem rauchen und trinken wir zuviel –, können wir nun, im Kino, in aller Ruhe zusehen, wie Rohmers Kamera ruhig zusieht, wie wir uns abzappeln: Sind wir als Zwanzigjährige nicht niedlich? Man ist gerührt, zu Recht.
Da jeder Mensch in seiner Weise der interessanteste der Welt ist, für sich jedenfalls, braucht Rohmer keine Stars und Stunts, muß nicht „bigger than life“ sein, wenn er denn nur mein Leben zeigt. Ohne Identifikation funktioniert das Kino nicht, auch nicht das Rohmersche. Und deshalb hat mir auch sein letzter Film, Rendezvous in Paris, gar nicht gefallen. Denn sowohl die drei Geschichten als auch die Protagonisten sind alles andere als niedlich. Sie sind ausgesprochen unliebenswürdig (mit Ausnahme der Esther in der ersten Episode).
Wie gesagt: Richtig schön müssen die Männer und Frauen bei Rohmer nicht sein (obwohl Truffaut darauf hingewiesen hat, daß Film bedeute, schöne Frauen schöne Sachen machen zu lassen), sondern nur so wie wir, „vorzeigbar“ hieß das früher einmal. Sie beziehungsweise wir dürfen komisch sein, sogar ein bißchen lächerlich, aber nicht fies. Gegen dieses Gebot verstößt „Rendezvous in Paris“: Wer dort begehrt, wer Interesse am anderen zeigt, verliert. Das ist ein trauriger Befund, und daß er im wirklichen Leben oft genug zutrifft, ist kein Argument für den Film: Wozu soll die Verdoppelung des alltäglich Miserabeligen gut sein? Umgekehrt ist es richtig: Gerade weil Rohmer so wenig Kino und Spektakel bietet, muß er uns ein Friedensangebot machen, muß er uns trösten. Was nicht heißt, daß seine Geschichten unbedingt gut ausgehen müssen; aber sie dürfen uns auch nicht in Depression stürzen, sondern uns allenfalls melancholisch und weise sagen lassen: C'est la vie.
In „Rendezvous in Paris“ jedoch findet statt des Liebeswerbens, eines Spiels mit offenem Ausgang, eine Art negativer Warentausch statt: Was du hast, das will ich nicht, und was du willst, das kriegst du nicht. Und deshalb hat der Film bei mir nicht funktioniert, im Unterschied zu Rohmers Meisterwerken Die Frau des Fliegers (1980), Pauline am Strand (1982), Vollmondnächte (1984) und Wintermärchen (1992). Das sind Lebensfilme, die sich Zeit nehmen für das, was sie zeigen. Selbst wenn der Plot geradezu mathematisch kalkuliert ist, weiß die Kamera, so scheint es, vorher nicht unbedingt, was passieren wird, wem sie sich zuwenden soll. Die Paare und Passanten sind da, und die Kamera schaut ihnen zu, interessiert, liebevoll, manchmal schamlos. Rohmers Filme sind für Voyeure des Alltäglichen, und da private Diavorführungen nicht ohne Grund einen schlechten Ruf haben, muß Rohmer den Narzißmus des Zuschauers füttern. Die Kamera muß lieben, was sie sieht. Sie will nichts beweisen, sondern nur zuhören, aufmerksam, höflich, ein bißchen ironisch vielleicht; genauso wie man Ihnen und mir zuhören sollte ...
Daher haben solche Quassel- oder Lebensfilme oft etwas von einem schönen Gespräch, einer Mischung aus Weisheit und Komik. Comédie humaine, genau, Louis Malles Mein Essen mit André, oder Nanni Morettis Liebes Tagebuch. Auch Ozu hat in diesem Sinn vielleicht Lebensfilme gemacht; aber sein Geheimnis liegt tiefer. Abbas Kiarostamis Quer durch den Olivenhain wäre noch zu nennen – aber leider muß ich jetzt bekennen, daß dieser Film, obwohl durchaus weise und mit Kamera-Liebesblick, mich doch einigermaßen kaltgelassen hat: Das Land und die Menschen sind so weit weg, daß ich nicht genügend identifikatorischen Schwung bekam und also auch nicht, wie es sich im Kino gehört, ins Schweben geriet, sondern eingermaßen pflichtbewußt meine Zeit absaß und mich klammheimlich fragte, ob die Begeisterungsstürme, die dieser Barfußregisseur hervorruft, nicht doch auch ein Ausdruck von political correctness und Drittweltismus sind.
Rohmer hingegen zeigt mit ethnologischem Blick den edlen Einheimischen, dich und mich, und daher lieben wir seine Filme, obwohl sie doch so ganz andere sind als diejenigen, die aus den Altenwerder Lichtspielen das Paradies meiner Kindheit gemacht hatten. Kurt Scheel
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