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Seehofer über Möllemann: "Er lügt"

■ Offener Koalitionsstreit über die zweite Stufe der Gesundheitsreform ausgebrochen. Die für nächste Woche geplante Klausurtagung ist fraglich geworden. Eins ist sicher: Die Kassenbeiträge werden steigen

Bonn (dpa) — Der Streit zwischen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) und dem neuen FDP-Gesundheitspolitiker Jürgen Möllemann über die geplante dritte Stufe der Gesundheitsreform ist offen ausgebrochen. Ob die zweite Runde der Koalitionsgespräche wie vorgesehen am 31. Oktober in Bad Neuenahr stattfinden wird, ließ Seehofer noch offen. Die Verantwortung dafür gab er der FDP und vor allem ihrem Gesundheitspolitiker Jürgen Möllemann, den er scharf angriff

Angesichts der bisherigen Verzögerungen der dritten Reformstufe seien 1996 Erhöhungen der Beitragssätze der gesetzlichen Krankenkassen um 0,5 Prozentpunkte nicht mehr zu verhindern, sagte Seehofer. Auch die Ersatzkassen (VdAK) und die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) sprachen am Mittwoch von deutlichen Beitragssatzerhöhungen im kommenden Jahr. Als Grund nannten sie wie Seehofer vor allem die ungebremste Kostenexplosion im Krankenhausbereich.

Nach Seehofers Angaben soll bis zum Wochenende auf der Ebene der Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Koalition ausgelotet werden, ob bei einer neuen Gesprächsrunde in Bad Neuenahr sinnvolle Verhandlungen zu erwarten seien. „Wir machen da nicht zweieinhalb Tage Zirkus“. Die erste Runde war Anfang Oktober überraschend nach fünf Stunden abgebrochen worden. Zu bestimmte Darstellungen Möllemanns über diese Runde sagte der Minister: „Er lügt.“

Die von Möllemann am Vortag bekräftigte Forderung nach Abschaffung des Arbeitgeberbeitrags zur Krankenkasse in seiner heutigen Form lehnte Seehofer erneut ab. Die gesamten Vorstellungen der Liberalen mit Leistungsreduzierung, Grund- und Wahlleistung, Selbstbeteiligung auch beim Arztbesuch und Kostenerstattung setzten die notwendige Steuerung im Gesundheitswesen allein bei den Versicherten und Patienten an. Dies sei ein „Feldzug gegen die kranken Menschen“. „Wenn man keine Wähler hat, hat man nicht das Recht, den Sozialstaat abzuschaffen“, sagte Seehofer mit Blick auf das schwache Abschneiden der Liberalen bei Wahlen.

Möllemann wies Seehofers Kritik als „schwer erträgliche Unverschämtheiten“ zurück. Die Äußerungen seien „polemische Ausfälle“ und ebenso unsachlich wie unangemessen. „Horst Seehofer sollte sich nicht weiter wie eine beleidigte und beleidigende Leberwurst aufführen.“

FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms sagte zu dem Streit: „In dem Stil bin ich nicht bereit, mich zu äußern“. Er fordere die Betroffenen auf, sich zusammenzusetzen. Bei solchen Verhandlungen könne sich keine Seite zu 100 Prozent durchsetzen. Er fordere dringend, „sich ohne Balzgehabe an die Sache zu machen“. Weil der Bereich der Krankenhausreform die größte Dringlichkeit habe, schlage er vor, mit diesem Punkt mit dem Ziel baldiger konkreter Ergebnisse zu beginnen.

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