Der Große Zapfenstreich

■ Inspekteur Naumann rüstet uns moralisch auf

Es gibt symbolische Veranstaltungen aus vordemokratischer Zeit, die sich staatsbürgerlicher Umdeutung entziehen. Der Große Zapfenstreich ist eine Erfindung des preußisch-deutschen Militarismus (Premiere 1888), eine stumpfsinnige Form der Selbstbeweihräucherung, ein Hohn auf jede nur denkbare Variante des „Bürgers in Uniform“. Aber die Generalität der Bundeswehr, die gestern im Bonner Hofgarten mittels des Großen Zapfenstreichs ihr 40jähriges Jubiläum feierte, hatte auch gar nicht die Absicht, diesem Spektakel einen demokratischen Dreh zu geben. Vielmehr sollte einer schlaffen, sich im Wohlleben suhlenden Jugend bedeutet werden, woher künftig der Wind weht. Generalinspekteur Klaus Naumann hat dieser Tage auf den Begriff gebracht, wo der Feind steht. Eine Gesellschaft, die „Machtanwendung ebenso dämonisiert, wie sie Egoismus und Hedonismus fördert“, ist nie und nimmer bereit, „bei Einsätzen auch Risiken auf sich zu nehmen“. Also Schluß mit dem Selbstbild der Bundeswehr als bessere Schule der Kraftfahrer und Fernmeldeingenieure. Soldat sein heißt fähig sein, das Kriegshandwerk auszuüben. Auch praktisch.

Laut Naumann sind die Streitkräfte „Voraussetzung und Kern staatlicher Souveränität“. Eine Definition, die die Billigung aller deutschen Generalstäbe bis 1945 gefunden hätte! Nur das Volk, immerhin der Souverän, kann sich mit dem Gedanken schlecht anfreunden, daß sein Kern aus Panzern und Raketen besteht. Wovor es in seiner Mehrheit zurückschreckt, wozu es sich nur in großer Not entschließen kann, ist der Einsatz militärischer Gewalt. Um diese Klippe zu umschiffen, setzt Naumann an die Stelle von „Gewaltausübung“ das unverfängliche Wörtchen „Machtanwendung“. Aber man braucht nicht Hannah Arendt studiert zu haben, um den Unterschied zwischen den beiden Begriffen zu kapieren.

Groß sind die Erziehungsaufgaben der Bundeswehr gegenüber der renitenten Gesellschaft. Die Gegendemonstranten, die sich in unmittelbarer Nähe des Großen Zapfenstreichs zusammenrotteten, taten dies unter Berufung auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dem die zivilistischen Flausen noch nicht ausgetrieben sind. Wer Traditionspflege in der Öffentlichkeit betreibt, hieß es dort, „muß sich auch in den dort geführten politischen Meinungskampf hineinbegeben“. Und leicht könnte sich hier das alte Sprichwort bestätigen: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.“ Natürlich nur im übertragenen Sinn. Christian Semler