Wissmann dreht der Bahn den Strom ab

■ Ein Papier aus dem Bahn-Vorstand belegt: Geplante Strecken werden nicht ausgebaut, der Güterverkehr bleibt auf der Straße

Berlin (taz) – Bund und Bahn schieben die Güterzüge aufs Abstellgleis. Nur noch mit 70 Millionen Mark jährlich soll der kombinierte Verkehr gefördert werden. Bisher waren mehrere hundert Millionen Mark für den Bau von Kränen und Terminals veranschlagt worden, mit denen Güter vom Lkw auf den Zug umsteigen sollten. Auch viele Schienenstränge sollen verzögert oder gar nicht modernisiert werden. Die Ausbaustrecke Pinneberg–Elmshorn wird zurückgestellt, zwischen Leipzig und Dresden, Köln und Aachen, München und Augsburg sowie an zig anderen Orten soll langsamer gebaut werden. Nur zwischen Hamburg und Berlin will die Bahn Dampf machen – und damit wohl dem geplanten Transrapid Konkurrenz machen. Diese Ideen stammen von dem Bahn-Vorständler Ulf Häusler, der für die Infrastruktur zuständig ist. In einem Papier, das der taz vorliegt, teilt er seinen Kollegen seine Vorschläge mit. Häusler sah sich von Verkehrsminister Wissmann (CDU) und Finanzminister Waigel (CSU) gezwungen, den bisherigen Dreijahresplan zusammenzustreichen: Statt 40,2 Milliarden sollten bis 1999 nur noch 35,7 Milliarden Mark für die Bahn ausgegeben werden. Waigels neueste Finanzlöcher sind dabei noch nicht berücksichtigt. „Wenn das umgesetzt wird, ist das das Aus für den modernen Güterverkehr. Die Bahn steht unter dem Diktat einer falschen Politik“, kommentiert der grüne Bundestagsabgeordnete Ali Schmidt.

Doch sowohl bei der Bahn als auch im Verkehrsministerium verweist man auf die noch nicht abgeschlossene Haushaltsdebatte. „Für uns ist klar, daß alle Projekte kommen – wenn auch zum Teil zeitlich gestreckt“, sagt Bahn-Sprecherin Christine Geißler-Schild. Auch Staatssekretär Johannes Nitsch aus dem Verkehrsministerium versicherte vorgestern im Bundestag, daß der Dreijahresplan weiterhin gelte. Den will sein Chef Wissmann durch den schnellen Verkauf der Bereiche BahnStrom und -Telekommunikation sowie von Bahn-Immobilien finanzieren, für die es aber kaum den erwarteten Bedarf gibt.

Daß die Koalition vor allem darauf bedacht ist, den Straßenverkehr nicht zu bremsen, belegt der gestrige Jubelruf von Wissmann: Es sei im Haushaltsausschuß gelungen, die anvisierten Streichungen beim Straßenbau von einer halben Milliarde in eine Aufstockung von 250 Millionen zu verwandeln. Annette Jensen

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