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Village VoiceHeiße Hölle Tempelhof

■ Jazz Poetry von Supreme Chord Jesters und afro-aufgepeppte Seventies-Miniaturen von Liquid Lounge

Es begann mit einem Statement von Malcolm X: „Brothers and sisters, we have to talk.“ Aus dem besorgten Hinweis, sich nicht länger zu massakrieren, wurde ein Volkssport: Rap und Jazz Poetry. Die einen tragen nun Trainingsanzüge, die anderen schwarze Rollkragenpullis; die einen rauchen Haschisch, die anderen trinken Beaujolais; die einen leben in Brooklyn, Brixton oder Kreuzberg, die anderen im unteren Harlem, in Camden oder Tempelhof.

Die anderen heißen in diesem Fall Supreme Chord Jesters und machen Sixties-orientierten Blue-Note-Jazz, zu dem Texte über den Hipster-Alltag der neunziger Jahre ebenso passen wie Last-Poets-Zitate zu „Shakespeare“ und „white trash“.

Sind die gegen den Strich gebürsteten Spielereien mit der Sprache noch immer Teil einer „black revolution“, 20 Jahre nach den Versen von Jalal Nuriddin und Gil Scott-Heron? Der in Berlin hängengebliebene Anthony Earl Baggette weiß es auch nicht so recht. Auf „Classical Music and Jazz“ erzählt er mehr Geschichte als Geschichten – in acht Minuten wird man von James Brown zu John Coltrane und von Otis Redding zu den Commodores geschleust.

Nebenbei improvisiert Christoph Isermann am Klavier mit Horace-Silver-Themen und die Bläsersätze sind sehr, sehr cool. Man verbeugt sich tief vor den Vätern, von denen man einiges geborgt hat; bis auf den Beat, denn der kommt, wenn man von diversen klackernden Klanghölzern absieht, aus der Maschine.

Solchermaßen clubtechnisch eingegroovt und mit Zitaten gespickt, ist die „Hungry for the World“-EP doch mehr als bloß höheres Easy Listening für Seminare am JFK-Institut. Erstaunlich gelassen kann Herr Baggette in englischen Reimen von Dingen reden, die man auf deutsch keinem Liedermacher mehr abnehmen würde: Wenn er das Wort „Environment“ über die Zunge rollen läßt, ist eben nicht allein die Öko-Floskel von der kaputten Umwelt gemeint, sondern auch ein schwer in den Griff zu bekommender Spirit, der darüber hinweggleitet.

Baggette genießt, wovon er singt, und die Musik unterstützt ihn in seinem Treiben. Deshalb kann sich sogar ein unansehnlicher „Dishroom“ zum „funky dirty dish“ erheben, was zugleich dandyhaft, verschlagen und beschwingt klingt. Das Ganze ist „fly“, wie man sagt. Es fliegt, schwebt, tanzt – die Bodenhaftung heißt Dancefloor.

Ein wenig verhält es sich mit „Urban Soulscape“ von Liquid Lounge ähnlich, das ebenfalls auf dem zeitgenössisch vor sich hinjazzenden Scat!-Label erschienen ist. Dort tüftelt ein gewisser J. J. Cooper, der bei Supreme Chord Jesters mitproduziert, an Keyboards, Rhythmus-Boxen und Trompeten herum.

In Wirklichkeit hört Cooper auf den Namen Boettcher und ist vermutlich das, was früher abschätzig Multi-Instrumentalist oder, schlimmer noch, Studiomusiker genannt wurde. Doch da gibt es derweil Prince, Goldie und diverse Techno-Unternehmer von ganz anderem Kaliber.

Auch hier perlen, orgeln und schwingen reihenweise Blue- Note-Reminiszenzen. Was dem einen Poems, sind Cooper die Samples: Kurze Afro-Sprengsel oder 70s-Funk-Miniaturen, dazwischen psychedelisch ins Asiatische driftende Gitarren und der eine oder andere GoGo-Beat.

Manche Arrangements brennen mit Cooper durch, dann wabert das Fender-Rhodes-Piano, wo er lieber den Groove hätte bearbeiten sollen. Der gestöhnte „City Sex“ wirkt nicht so heiß wie in der Soul-Hölle von Harlem und der Titelsong schnurrt zurückgelehnt auf der Mitternachts-Jazz-Schiene entlang.

Beim „Extraterrestrial Lovesick Blues“ kommen die Elemente doch noch einmal zusammen: die Trommeln und Flöten, der Islamsingsang und all die anderen Effekte. Ein Pudding, der wackelt. Harald Fricke

Supreme Chord Jesters: „Hungry for the World“

Liquid Lounge: „Urban Soulscape“ (beide Scat!-Recordings)

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