: Stammheim in New York
■ Das Museum of Modern Art hat den RAF-Zyklus von Gerhard Richter angekauft: Was wird aus den umstrittenen Bildern? Ein Gespräch mit dem Maler
taz: Um den Verkauf der 15 großen Stammheim-Bilder hat es hier wie in New York großen Wirbel gegeben. Hängt es damit zusammen, daß diese Bilder als Auseinandersetzung mit einem sehr deutschen Thema gesehen werden?
Gerhard Richter: Gerade das ist mir unverständlich: daß das Thema der Bilder als so ausschließlich deutsch angesehen wird. Die, die sich jetzt über diesen „Export“ aufregen, verwechseln da doch etwas. Sie projizieren einen dokumentarischen Wert in die Bilder, den sie gar nicht haben. Die Bilder sind doch extra so allgemein gemalt, daß man gerade nicht die „Ulrike Meinhof“ sieht, nicht den „Andreas Baader“ und keine Details zur RAF-Geschichte. Es sind Bilder, deren Aussage sich nur im Kunstkontext entfalten kann. Das heißt: Es sind keine Dokumente und keine Anschauungsstücke, wie man sie beispielsweise im Haus der Geschichte in Bonn zeigen kann. Das Allgemeingültige an den Bildern zeigte sich ja immer dann deutlich, wenn sie im Ausland ausgestellt wurden. Egal, ob in London, Amerika oder – wie zur Zeit – in Israel: Sie werden als die Bilder gesehen, die sie sind, und mit der Aussage, die jedes Land betrifft. Und was Frankfurt anbelangt: Jean-Christophe Ammann hat mir immer deutlich zu verstehen gegeben, daß er die Bilder für sein Museum haben möchte. Und ich habe ihm nie eine Zusage gegeben, denn für mich wurde Frankfurt immer weniger zum endgültigen Ort für diesen Zyklus.
Man könnte annehmen, daß diese Bilder in Amerika mit noch mehr Argwohn aufgenommen werden?
Die Kritiken dort hoben sich sehr wohltuend von den deutschen ab. Hier war man so von dem Thema betroffen, daß man die Bilder fast nur noch politisch sehen konnte – oder gar wie eine Art „Familienangelegenheit“. Deshalb gab es ja auch so unsinnige Vorwürfe wie den, es stehe einem bürgerlichen Maler nicht zu, solch ein Thema zu malen, oder es sei zu undeutlich gemalt, ich hätte also keinen Standpunkt bezogen. Im Ausland hat man sich die Sicht auf die Bilder eben nicht mit Erwartungen und Vorurteilen verstellt.
Und deshalb haben Sie die Bilder nach Amerika verkauft?
Die Adresse war sicher ausschlaggebend. Ein so gutes Museum wie das MoMA haben wir in Europa nicht. Nicht einmal die Londoner Tate Gallery hat diese Qualität.
Waren die Bilder in Frankfurt deplaziert?
Gerade weil es offensichtliche Bezüge zwischen Frankfurt und der RAF gab, ist das Frankfurter Museum nicht unbedingt der richtige Ort für die Bilder. Sie bekommen dort eher diese illustrative, lokal-dokumentarische Seite, die ihnen nicht gut tut.
In Frankfurt soll es einen interessierten Privatsammler gegeben haben, der die Bilder in Deutschland hätte halten können...
Diesen Sammler kenne ich nicht. Es gab keine Nachfrage und kein Angebot. Mir war es aber auch recht, daß ich nicht gefragt worden bin, sonst hätte ich ja mein Gewissen prüfen müssen: Sollte ich nicht doch...
Daß der Leihvertrag mit Frankfurt Ende 1999 abläuft, war allgemein bekannt. Das MoMA ist daraufhin mit seinem Kaufwunsch an Sie herangetreten. Die Gemälde hätten auch gut in die Berliner Nationalgalerie gepaßt...
Das stimmt. Aber ich halte es für möglich, daß sie dort in der Sammlung ein Gewicht erhalten hätten, das wiederum über die Maße politisch motiviert wäre. Ein Museum wie die Nationalgalerie hat eine bestimmte Struktur, seine Sammlung einen bestimmten Inhalt, und da hätten die Bilder ein Gewicht erhalten, das vielleicht ein bißchen störend gewesen wäre.
Andere Museen haben sich nicht gemeldet?
Nur das Diözesanmuseum in Köln hat mich gefragt. Die wollen ein neues Museum bauen und haben eine Sammlung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Das hat mich anfangs sehr gereizt – schon als Gegengewicht und Alternative zum Ludwig-Museum, das ja ein bißchen sehr populistisch ist. Am Ende war mir aber der religiöse Kontext inhaltlich zu sehr in einer bestimmten Richtung vorgeprägt.
In New Yorker Zeitungen wird jetzt heftig darüber debattiert, wie die Bilder gehängt werden sollen. Im Zeitalter der political correctness gibt es sogar den Vorschlag, neben ihre Bilder Gemäldefotos von Opfern der RAF zu hängen.
Dieser komische Vorschlag stand in Newsweek. Aber das sind ja nur Stimmen, die zahlenmäßig viel geringer sind als jene anderen, die den Zyklus sehr positiv sehen. Ich finde es ganz normal, daß auch Blödsinn geredet wird, das gehört zur Auseinandersetzung.
Hätten Sie Einwände gegen einen dokumentarischen Zusatz?
In Los Angeles gab es ein kleines Kabinett mit Dokumentationstafeln zum Thema der Bilder, erklärender Text, Fotos – das war gut gemacht. Der einzige Nachteil ist, daß die Leute dann mehr Zeit mit Lesen verbringen als bei den Bildern.
Sie haben sich für eine Ausstellung in London jetzt erneut mit dem Thema auseinandergesetzt und 23 Seiten aus dem Buch „Der Prozeß gegen die Rote Armee Fraktion“ von Pieter H. Bakker Schut übermalt. Wie kam es dazu?
Das weiß ich nicht. Das Buch lag bei mir rum, die Situation war so ähnlich wie damals: Es war unerledigt. Ich wußte nicht, was ich mit dem Buch machen sollte. Und dann fing ich an, Seiten zu übermalen, so wie ich manchmal Fotos übermale. Vielleicht wollte ich das Thema für mich endlich ganz beenden. Ein, zwei Jahre später zeigte ich die übermalten Seiten einem Freund, der fand sie sehr gut und riet mir, daß diese 23 Seiten als eine Arbeit zusammenbleiben müßten. Das Gespräch führte
Stefan Koldehoff
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