: Wie man ein „Wir“ konstruiert
Jörg Haider, der Rechtsaußen der österreichischen Politik, bläst zum „Kulturkampf“ gegen den „Tugendterror“ des „linken Kulturfaschismus“ – der neueste Schachzug des Populisten zur Konstruktion einer Volksgemeinschaft ■ Von Robert Misik
Irgendwann in den siebziger Jahren haben die Linken Antonio Gramsci gelesen. Viel war daraufhin vom Begriff der „Hegemonie“, zu deutsch: Vorherrschaft, die Rede und davon, daß dieser Begriff entfernt etwas mit „Kultur“ zu tun habe. Ein paar Bücher wurden darüber geschrieben, unzählige Aufsätze, Symposien organisiert und Werkausgaben ediert.
Dies war der Lauf der Zeit: Die Linken wurden älter, die Gramsci- Bücher verstaubten, nahe Kiew verglühte ein Atommeiler, zwischen Österreich und Ungarn schnitt man Löcher in den Stacheldraht, und in Berlin zerbarst die Mauer. Am Ende begannen auch ein paar Rechte zu lesen, nahmen sich ein Vorbild an den Linken und rüsteten sich dafür, in einem „Kampf um die Hegemonie“ diese zurückzuerobern.
Jörg Haider, der rechte österreichische Populistenführer, erhielt davon Kunde und erkor sich die Kultur zum Politikfeld. Denn er weiß: „Wer die Begriffe vorgibt, steuert das Denken.“ Künstler, Journalisten und der gewiefte Teil sozialdemokratischer Politiker entfachten, so Haiders Klage, einen „Tugendterror“. Eine Handvoll Künstler seien gegen ihn, somit Staatskünstler, weil für die Herrschenden; letztere wiederum dankten es, so Haider, den Künstlern mit prächtigen Inszenierungen, Preisen und satten Subventionen.
Weil Wahlkampf ist, ließ Haiders „Freiheitliche Bewegung“ (FPÖ) nun ein Plakat affichieren: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Hèupl, Peymann, Pasterk... – oder Kunst und Kultur? – Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler.“ Eine großformatige Feinderklärung also an den SPÖ- Kulturminister, die Dramatikerin, den Wiener SPÖ-Bürgermeister, den Burgtheater-Direktor und die SPÖ-Kulturstadträtin.
Österreich wäre nicht Österreich, würde darüber nicht heftige Erregung anheben. Mit emphatischer Geste nutzte Peter Turrini einen Auftritt bei der Frankfurter „Österreich-Gala“, um die „Menschenhatz“ auf seine Freunde zu beklagen; die Grande Dame des örtlichen Kulturjournalismus, Sigrid Löffler, wiederholte ihre These von der drohenden „Verhaiderung“ der österreichischen Kultur. Jörg Haider wiederum legte, zur Rede gestellt, nach und wußte über Peymann und Jelinek zu sagen: „Sie sind symptomatisch für die linke Kulturschickeria, die uns derzeit terrorisiert.“
Man mag das für eine Ausgeburt der Hysterie halten oder einen plötzlichen Anfall von Schwachsinn – doch derlei ekstatische Kulturstreitereien zählen zur österreichischen Normalität. Die publiken Ausfälle gegen Dichter und Theatermacher sind seit dem Wiedereintritt Österreichs in die Moderne, seit den frühen Tagen der Grazer Autorenversammlung, des steirischen herbstes oder der Wiener Gruppe, gang und gäbe. Haider, so mag man meinen, fügt dem nur ein weiteres Kapitel hinzu. Und man kann das nicht einmal als Indiz wachsender Kulturfeindlichkeit werten: Denn es stimmt zwar, daß in Wien Künstler bisweilen schier unglaublichen Anfeindungen ausgesetzt sind. Aber das hat auch damit zu tun, daß man das, was sie tun, hier viel ernster nimmt als anderswo.
Es mag der Staatshaushalt kollabieren, ganze Industriebranchen können zusammenbrechen, doch über nichts wird in Österreich so oft und gerne politisch gezankt wie über Kunst und Kultur. Haider hat darauf kein Abonnement. Der Erzähler Doron Rabinovici notierte unlängst anläßlich der Frankfurter Buchmesse: „Wollte Thomas Bernhard ein Stück auf die Bühne bringen, so schaltete sich Vranitzky ein. (...) Nimmt der Burgtheater-Direktor Claus Peymann zu dem Attentat gegen Roma Stellung, fordert ein Minister, der Theatermacher möge auswandern. (...) Gibt Peter Turrini dem Spiegel ein Interview, geht ein Aufschrei durchs Land.“ Die Liste ließe sich fortsetzen: Alfred Hrdlickas Monument gegen Krieg und Faschismus steht seit fünf Jahren und ist seit der Planungsphase – bis heute – heftig umfehdet; als sich Hrdlicka vor zehn Monaten mit Henryk M. Broder und Wolf Biermann über Gregor Gysi zankte, füllte dies die Titelseiten. Und weil sich unlängst der Autor Gerhard Roth abfällig über seinen Kollegen Robert Menasse äußerte, beschäftigte das zum „Literatenzwist“ stilisierte Zerwürfnis wochenlang den Boulevard.
Dies hat, mehr noch als mit rechts-linken Frontkämpfen um „Hegemonie“, mit dem Selbstverständnis der Österreicher nach 1918, vor allem aber nach 1945 zu tun. Den Zusammenbruch des Habsburger Großreiches 1918 wollten sie nicht verwinden; bis zur Katastrophe des Nazi-Regimes richteten sich die Großmachts- Aspirationen auf einen Zusammenschluß mit Deutschland. Erst das Ende des Dritten Reiches hatte zur Folge, daß sich die Österreicher mit ihrem Kleinstaats-Dasein abfanden; wirklich glücklich machte sie dieses aber nie. Schwer trug man an der Gewißheit, im Grunde bedeutungslos zu sein. Bloß die Kultur, jene Branche, in der man sich als Weltmacht wähnte, versprach ein wenig Balsam auf diese Wunde.
In normalen Staaten residieren in der Burg die Herrschenden; in Prag etwa nimmt hier der Präsident seinen Amtssitz. In Österreich hingegen sitzt das Staatsoberhaupt in der Hofburg – das landläufig als „Burg“ titulierte Gebäude ist aber jenes Theater, das als einzige Institution der Republik noch vom imperialen Glanz vergangener Epochen zehrt.
In Österreich, schrieb der Romancier Robert Menasse jüngst, ist man immer sowohl Staatskünstler als auch Staatsfeind. Dichter und Theatermacher sind gleichwohl Anfeindungen ausgesetzt wie der Inbesitznahme durch die etablierte Politik.
Und dennoch verschob der Aufstieg Haiders auch die Koordinaten dieses Terrains: Einerseits gilt die intellektuelle Kritik nicht mehr bloß dem „Zustand Österreichs“, der Obrigkeit, dem Proporzsystem und den Geschichtslügen der Zweiten Republik, sondern in mindestens gleichem Maße einer populistischen Opposition, die eben jene Zweite Republik viel entschiedener in Frage stellt, als dies die linke Kritik je vermochte. Andererseits stürzt dieser Sachverhalt die Kritiker selbst in die Haider- Falle: Die Alternative – Affirmation der etablierten Politik oder Haiderei – läßt viele Literaten kopflos und verwirrt zurück.
Vor allem aber imitiert Haiders Kampagne gegen Peymann, Jelinek & Co. nur vordergründig die bekannten Stereotypen. Zwar ist die Feinderklärung an die angeführten Politiker und Künstler aus der Neuen Kronen Zeitung längst bekannt, jenem dumpf-dröhnenden Kleinformat, das am Boulevard praktisch eine marktbeherrschende Stellung innehat. Und auch die konservative Volkspartei zählt die Genannten zu ihren Lieblingsfeinden.
Doch das Spezifikum des Haiderschen „Kulturkampfes“ liegt in seinem Gestus, der gleichsam auch das Erfolgsgeheimnis seiner Politik begründet: Er attackiert die Literaten und Politiker nicht bloß vom Standpunkt einer konservativen Kulturkritik – wie das etwa die ÖVP tut; er konstruiert ein „Wir“, das er einem „Sie“ entgegensetzt. Dem ohnehin unter Dauerattacke liegenden Establishment jener Zweiten Republik, die es sturmreif zu schießen gilt, werden jetzt lediglich noch ein paar unliebsame Künstler zugeschlagen. Ein anderes Wahlplakat sagt: „Er hat Euch nicht betrogen.“ Im Wahlkampf des Vorjahres hatte es geheißen: „Sie sind gegen Ihn, weil Er sagt, was Ihr denkt.“ Gegen eine unbestimmt gehaltene „Sie“-Gemeinschaft der Etablierten setzt Haider eine „Wir“-Gemeinschaft des Volkes; sich selbst setzt er somit nicht als Oppositionellen im klassischen Sinn, sondern als organischen Teil einer „Volksgemeinschaft“ gegen eine „menschenverachtende Unkultur“.
Die Stichwörter, die nun zur massenwirksamen Plakatkampagne geraten, hat Haider längst gegeben. In seinem Buch „Freiheit, die ich meine“ wettert er gegen den „linken Kulturtotalitarismus“: „Wie mit einer Dampfwalze wird jeder Widerspruch niedergemacht. Verletzung sittlich-moralischer Anschauungen, Brutalität und Gewaltverherrlichung, gepaart mit einer abgrundtiefen Mißachtung des Menschlichen, sind die ,Normen‘, auf die ,Kulturschaffende‘ verpflichtet werden.“ Haider weiter: „Ohne werteverteidigenden Kulturkampf ist eine Überwindung des linken Kulturfaschismus nicht möglich.“
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