: Der Lohn der bösen Tat
Bei der Strafexpedition ins Berliner Olympiastadion verdient sich Hansa Rostock ein 1:1 gegen Eintracht Frankfurt und eine goldene Nase ■ Aus Berlin Matti Lieske
„Wer hat die tollsten Fans, die jubeln laut bei jedem Tor“, radebrechen die „Puhdys“ in ihrer hochnotpeinlichen Hymne an Hansa Rostock. Daß die Realität ein klein wenig anders aussieht, muß inzwischen sogar der stark zur Schönfärberei neigende Vereinspräsident Peter-Michael Diestel einräumen. Leider hätten von den Fans „einige wenige eine zu mißbilligende und nicht vertretbare politische Meinung mit einem radikalen Erscheinungsbild“, verriet er in der Stadionzeitung anläßlich des Spieles gegen Eintracht Frankfurt. Der dem radikalen Erscheinungsbild geschuldete Tränendrüsenangriff auf den FC St. Pauli war der Grund dafür, daß besagte Zeitung diesmal nicht in Rostock, sondern in Berlin verteilt wurde.
Die vom DFB verhängte Platzsperre entpuppte sich indes eher als Glücksfall für die Rostocker. Das Spiel im Olympiastadion vor fast 60.000 Zuschauern, mehr als doppelt so viele, wie im Ostseestadion Platz finden, erwies sich als Goldgrube, und selbst Diestel blickte leicht verschämt, als er zugeben mußte, daß „angesichts der unerwarteten Zuschauerresonanz einige Aktiva“ entstanden sein könnten. Erheblich süffisanter drückte es ein Journalist aus: „Das ist, als würde man jemanden für einen Diebstahl drei Tage Vollpension im Kempinski aufbrummen.“
Immerhin kam Berlin auf diese Weise nach viereinhalb Jahren mal wieder zu einem waschechten Bundesligaspiel. Die erste Halbzeit war jedoch nicht dazu angetan, großes Bedauern über verpaßte Freuden aufkommen zu lassen. Die Einheimischen im Publikum dürften sich vielmehr beglückwünscht haben, daß sie ihre samstäglichen Nachmittage nicht mit der Begutachtung öder Fußballspiele verbringen müssen, sondern stattdessen etwas Nützliches oder doch zumindest Vergnügliches unternehmen können. Es ließ sich nicht verbergen, daß beide Teams in der Bundesliga unteres Mittelmaß darstellen, auch wenn Hansas Tabellenplatz derzeit anderes vortäuscht. Den Rostockern, deren Trainer Frank Pagelsdorf standhaft darauf beharrte, daß es sich um ein Auswärtsspiel handelte, fiel nichts ein, um die Frankfurter Abwehr zu ihren in der ganzen Liga beliebten Geschenken zu animieren, und die Eintracht demonstrierte, wie man vielversprechende Konter so langsam vortragen kann, daß die Gefahr bereits an der Mittellinie vorbei ist.
Während auf der einen Seite Frankfurts Bindewald bei Rostocks torhungrigem Sprinttalent Baumgart zwar nicht mit-, aber immerhin festhalten konnte, sorgten vor dem Hansa-Tor nur der unermüdlich stochernde Letschkow- Plagiator Ivica Mornar und der einsam verspielte Jay-Jay Okocha für Aufsehen. Ausgerechnet die beste Chance der „Gastgeber“ vor der Pause, bei der sich die Stürmer gegenseitig den Ball vom Fuß nahmen, leitete einen Angriff der Hessen ein, bei dem diese plötzlich und unerwartet alles richtig machten. Der vorstürmende Komljenovic hütete sich, nach innen, statt nach außen zu Okocha zu spielen, und der Nigerianer hütete sich, noch einmal abzugeben. Aus 20 Metern schoß er aufs Tor und schon zappelte der Ball im Winkel.
In der zweiten Halbzeit wurde die von ihrem auswärtigen Heimpublikum lautstark angefeuerte Hansa und damit auch das Spiel besser. Zunächst führte der Frankfurter Schupp jedoch erstmal vor, wie man sämtliche Gegenspieler aussteigen läßt, indem man einfach geradeaus läuft, und dann die beste Chance des Spiels versiebt, indem man den Torwart anschießt. Kurz danach kam Carsten Klee. Zwei Minuten nach seiner Einwechslung köpfte er knapp vorbei, drei Minuten später verwandelte er eine an der träumenden Eintracht- Abwehr vorbeisegelnde Flanke zum Ausgleich (75.).
Die übrige Zeit mühte sich Rostock vergebens, auch noch die restlichen zwei Punkte einzusacken, während Frankfurts Coach Körbel spätestens mit der Auswechslung Okochas in der 79. Minute seinen freiwilligen Verzicht bekanntgab. Es blieb beim 1:1, wenigstens ein letzter Rest von Gerechtigkeit. Hätten die Rostocker auch noch gewonnen, wäre allein für Peter-Michael Diestels Satz „Wir fühlen uns trotzdem bestraft“ eine neue Strafe fällig gewesen: Austragung des Heimspiels gegen Bayern München am Millerntor.
Eintracht Frankfurt: Köpke - Dickhaut - Bindewald, Komljenovic - Hagner, Schupp, Binz, Falkenmayer, Beuchel - Okocha (79. Rauffmann), Mornar (90. Bunzelthal)
Zuschauer: 58.492; Tore: 0:1 Okocha (43.), 1:1 Klee (75.)
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