Eine Schmiergeldaffäre erschüttert Südkorea: Ex-Staatspräsident Roh Tae Woo schaffte in einem Geheimfonds rund 900 Millionen Mark beiseite und korrumpierte Unternehmer, Bürokraten und Politiker. Ein bedeutender Teil der politischen Zukunft des Landes liegt nun in Händen der Justiz Von Georg Blume

Die schwarze Kasse war für alle da

Zur entscheidenden Stunde weilte der Präsident im Ausland. Auch wenn es kein geringerer Anlaß als der 50. Geburtstag der Vereinten Nationen war, der Kim Yung Sam die Korruptions- beichte seines Vorgängers am Freitag in Seoul versäumen ließ: Am Tag danach sah es aus, als kehre ein politischer Flüchtling zurück. Schon demonstrierten Bürgerinitiativen für die Festnahme des ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Roh Tae Woo und die gerichtliche Untersuchung der Wahlkampffinanzierung Kims. Nichts war mehr wie vorher in der südkoreanischen Politik.

„Ich, Roh Tae Woo, erhebe mich vor dem Volk, um demütig zu bekennen, daß ich in einem Geheimfonds Geld angehäuft habe. Ich schäme mich und bin voller Reue“, hatte Ex-Präsident Roh Tae Woo, der Südkorea von 1988 bis 1993 regierte, am Freitag unter Tränen in einer Fernsehansprache der Öffentlichkeit gestanden. In dem „Geheimfonds“, aus dem Roh hauptsächlich wohlgeneigte Politiker und Bürokraten bediente, hatte er nach eigenen Angaben umgerechnet 952 Millionen Mark beiseite geschafft.

Spätestens die Angabe dieser Summe machte der Öffentlichkeit klar, daß selbst die schlimmsten Befürchtungen über das Ausmaß der politischen Korruption in Südkorea um Längen übertroffen wurden. „Damit ist nun endlich offiziell belegt, daß die meisten Südkoreaner mit ihrem Glauben an die weitverbreitete Korruption im Land recht behalten“, sagte ein westlicher Diplomat.

Die empörte Mehrheit der SüdkoreanerInnen meldete sich in den letzten Tagen immer lautstärker zu Wort. Kritische Leserbriefe überfluteten die Blätter. Am Wochenende schlugen daraufhin selbst die oft als regierungshörig bezeichneten großen Zeitungen des Landes einen kritischen Ton an. „Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb unser alter Präsident solche große Mengen illegalen Geldes brauchte“, meinte die 33jährige Lee Kye Suk aus Unpyong-gu. Normale Bürger kämen nie in den Besitz solcher Summen. Der 31jährige Firmenangestellte An Kyu Man forderte die Regierung auf, Maßnahmen zum Verbot „der dreckigen Zusammenarbeit zwischen Politikern und Geschäftsleuten“ zu erlassen. Shin Tae Kyun, ein Angesteller der „Bürgerallianz für wirtschaftliche Gerechtigkeit“, verlangte die Aufdeckung aller Umstände, die zur Bildung von Rohs Geheimfonds führten: „Der Skandal sollte dazu dienen, alle schwarzen Kassen in unserer Gesellschaft abzuschaffen“, so Shin.

Falls die Staatsanwaltschaft in Seoul diese Forderung ernst nimmt, hat sie in den nächsten Jahren viel zu tun. Tatsächlich liegt ein bedeutender Teil der politischen Zukunft Südkoreas in diesen Tagen in den Händen der Justiz. Schon am Samstag untersuchten Beamte der Staatsanwaltschaft die Büros von allen zwölf großen Banken des Landes, bei denen Roh seine schwarzen Gelder unter falschem Namen deponiert hatte. „Falls nötig, werden wir unsere Nachforschungen auch auf die großen Konzerne ausweiten, von denen das Geld kam“, kündigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft an. Dabei kämpft Justitia in Südkorea um den letzten Rest Glaubwürdigkeit, der ihr bis heute geblieben ist.

Jedesmal, wenn es heiß wurde, hatte die dritte Gewalt in Südkorea bisher versagt: So entschieden die Staatsanwälte gegen eine Anklage Rohs und seines Vorgängers, Ex- Dikatator Chun Doo Hwan, wegen ihrer Verantwortung für das Massaker von Kangju, bei dem 1980 annährend zweitausend DemonstrantInnen erschossen wurden. Ebenso verzichteten die Gerichte auf eine Anklage gegen Roh, als erste Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Jahr 1993 bereits auf eine schwarze Kasse des Ex-Präsidenten hindeuteten. Besonders brisant ist deshalb jetzt das Vorgehen der „Bürgerkoalition für eine demokratische Gesellschaft“ zu, die vergangene Woche Anklage gegen zwei ehemalige Generalstaatsanwälte wegen der Nichtverfolgung von Straftaten im Fall Roh einreichte.

Von einer Strafverfolgung betroffen wären nicht nur die Banken, bei denen Roh unter Mitwisserschaft der mächtigsten Finanzmanager des Landes seine Millionen hinterlegte. Vielmehr scheint es, als hätten die schwarzen Gelder alle wichtigen Interessengruppen der Republik erreicht. Die Kette beginnt bei den großen Konzernen, deren Namen wie Hyundai, Samsung und Daewoo in aller Welt bekannt sind. Von ihnen stammt der Großteil des Geldes, bei ihnen könnte die Staatsanwaltschaft auf die Quelle weiterer Skandale stoßen.

Und so warnte Roh bereits in seinem Geständnis davor, daß die Gerichte ihre Ermittlungen auf Geschäftsleute ausdehnen, die „unter den Bedingungen des internationalen Wettbewerbs harte Arbeit leisten“. Aus Sicht des Ex-Präsidenten waren Unternehmen gezwungen, Politikern Geld zu geben – ohne deren Unterstützung kamen sie in einer staatlich streng regulierten Wirtschaft angeblich nicht aus.

Roh selbst war dabei nicht der Endadressat der von ihm verwalteten Schwarzgelder, auch wenn zum Ende seiner Amtszeit noch über 300 Millionen Mark übrig waren. Die wichtigste Empfängergruppe stellte die heimliche Macht im Staat dar: Südkoreas elitäre Bürokratie. Immer dann, wenn einzelne Bürokraten sich für Politik und Wirtschaft besonders verdient gemacht hatten, erhielten sie offenbar eine Extrabelohnung von Roh. Die Gelder dienten damit dem Zweck, den autoritären Beamtenstaat, dessen Protagonisten Parteien für überflüssig halten, der Politik gefügig zu machen.

Letztendlich aber setzte Roh seine verschwiegenen Millionen auch zur direkten Einflußnahme auf Wahlen ein. Das geht bereits aus dem überraschenden Geständnis von Oppositionsführer Kim Dae Jung hervor, der am Freitag einräumte, während seiner Präsidentschaftkampagne 1992 selbst in den Genuß eines präsidentiellen „Wahlkampf-Geschenks“ (Kim) über annäherend 3,5 Millionen Mark gekommen zu sein. Und Kim Dae Jung warf auch dem Präsidenten gestern vor, im Wahlkampf „Millionen Dollar“ aus dem Geheimfonds erhalten zu haben.

Präsident Kim Yung Sam droht damit das zentrale Thema seiner Regierungszeit abhanden zu kommen. Denn bisher profilierte er sich vor allem als Antikorruptionskämpfer, dem es immerhin gelang, ein Gesetz abzuschaffen, das Südkoreanern erlaubte, Bankkonten unter falschem Namen zu führen. Dieses Gesetz war jahrzehntelang die legale Basis für die Korruption im Land.

Im nächsten Frühjahr werden in Südkorea Parlamentswahlen abgehalten. Eine Verschleppungstaktik im bislang größten Korruptionsskandal des Landes könnte damit für die demokratisch-liberale Regierungspartei von Kim Yung Sam vernichtende Folgen haben.