piwik no script img

Fremd im eigenen Land

■ Im Gespräch: die chinesische Musikerin/Performerin Lee Pui Ming über ihr Leben zwischen Tradition und Avantgarde/ Heute Konzert bei „Callas“

Zum ersten Mal in Europa: Nach ihrem fulminanten Auftritt beim Berliner Festival „Wie es ihr gefällt“ spielt die chinesische, in Toronto lebende Pianistin Lee Pui Ming heute abend in Worpswede. Der taz erklärte sie im Gespräch, was in ihrer Musik so alles zusammenkommt.

taz : Frau Ming, Sie verbinden heute in Ihrer Musik drei untereinander scheinbar unverbundene stilistische Richtungen, wenn man das überhaupt so nennen kann: die sogenannte neue E-Musik, Jazz und Improvisation und Elemente der traditionellen chinesischen Musik. Wie kam es dazu?

Lee Pui Ming: In China unterrichtete meine Mutter als Sängerin chinesische Popularmusik. Mit drei Jahren erhielt ich Klavierunterricht: Klavier ist das westliche Instrument schlechthin. Ich habe also zunächst einmal die gesamte westliche Klavierliteratur gelernt und dann in Amerika den Bachelor of Arts gemacht. Ja, und weil ich immer müder wurde, die Musik von anderen Leuten zu spielen, bot sich zunächst einmal der Jazz an. Hier konnte ich mich selbst ausdrücken. Denn einfach Klavier spielen, das reichte mir nicht mehr.

Und die chinesische Musik?

Das kam dann noch später, als mir mit fortschreitendem Alter die Suche nach meinen Wurzeln immer wichtiger wurde. Alles zusammen ist aber in meiner Musik zu einer neuen Einheit verschmolzen.

Sagen Sie noch etwas mehr zu Ihrem persönlichen Prozess. Sie „explodieren“ bei ihren Auftritten buchstäblich am Klavier – das ist man von chinesischen Musikern eigentlich ja nicht gewohnt.

Ja, genau; von daher ist meine Musik ein Paradox. Mein Innerstes herauszukehren, habe ich im Westen gelernt. Gleichzeitig spürte ich immer mehr, was mich ganz tief innen berührt: die traditionelle chinesische Musik.

Wie erarbeiten Sie sich denn diese Wurzeln?

Ich habe sie einerseits in mir, andererseits muß ich diese Musiktheorie wirklich studieren. Ich arbeite sehr hart, um sie zu finden und nicht zu verlieren. Nächstes Jahr werden ich deswegen ein Studienjahr in China verbringen.

Könnte es auch sein, daß Sie nach China zurückgehen?

Nein, ich bin da zuhause, wo ich meine Musik machen kann. Aufgrund meiner Arbeit bin ich auch fremd in China, das ist mein Leben. Ich bin Emigrantin, und das ist nicht immer schön.

Schreiben Sie auch Musik auf?

Ja, ich notiere Strukturen, innerhalb derer ich dann improvisiere. Alles Aufschreiben ist für mich unmöglich, ich werde ganz schnell müde, etwas zu wiederholen.

Können auch andere InterpretInnen Ihre Stücke spielen?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Vielleicht sollte ich das tun, um etwas Geld zu verdienen.

Sie arbeiten ja sehr stark auch mit der Stimme und mit dem Körper, Ihre Stücke kommen damit eigentlich der Form der Performance gleich. Wie planen Sie das?

Gar nicht. Alles entwickelt sich ohne vorherige Planung aus dem Spielen. Ich bin diese Person und ich habe ein Klavier: das ist es. Alles, was ich bin, versuche ich, in meine Musik zu integrieren.

Sie haben aber auch ein kleines Ensemble mit chinesischen Instrumenten gegründet?

Ja. Für die schreibe ich richtige Stücke, nur meine Soli sind frei.

Ihre Musik ist sozusagen Ihre persönliche Biographie. Was kann Sie für die HörerInnen bedeuten?

Ich denke, daß ein Stil in dem Augenblick gut und damit verbindlich wird, wenn er wirkliche Wurzeln hat. Neues kann nur geschaffen werden, wenn man zu den Quellen zurückgeht. Alles Neue ohne Wurzeln bleibt oberflächlich. Ich möchte einen kulturellen Ausdruck schaffen, der lebt und vital ist und zu allen spricht. Aber eigentlich kann man diese Frage so eigentlich nicht stellen, denn ich will nichts Persönliches mitteilen. Ich will und muß mich ausdrücken.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

„Strange beauty“, heute abend mit der chinesischen Pianistin Lee Pui Ming um 20 Uhr bei Callas, Worpswede, Überhammer Str. 41, Tel.: 047 92/40 36.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen