piwik no script img

Bayerische Verhältnisse in Zehlendorf

■ Grundschüler sollen nach dem Willen ihrer Schulleitung den Reformationstag in der Kirche verbringen. Das Landesschulamt sieht die Religionsfreiheit in Gefahr

Ein Stückchen Bayern ist auch in Berlin. Die Conrad-Grundschule in Wannsee leistet dem allgemeinen Trend zur Säkularisierung tapferen Widerstand. Stein des Anstoßes ist dort freilich nicht das Kruzifix, sondern der gemeinsame Kirchgang der Schüler am heutigen Reformationstag. „Am 31. Oktober, dem Reformationstag, wollen wir mit allen Schülern und Lehrern zum gemeinsamen Kindergottesdienst in die Stölpchensee-Kirche gehen“, heißt es in einem Rundbrief an die Eltern. Danach sollten die Schüler nach Hause entlassen werden.

In dem kollektiven Kirchgang sieht Michael Szulczewski vom Landesschulamt einen klaren Verstoß gegen die religiöse Neutralität der Schule, der die Glaubensfreiheit der Schüler verletze. Deshalb hat er angeordnet, daß für alle Schüler, die nicht in den Gottesdienst wollen, gewöhnlicher Unterricht stattfindet. Das entspricht der Regelung, die Landesschulrat Hans-Joachim Pokall bereits im September getroffen hatte. Demnach ist der Reformationstag ein Schultag wie jeder andere. Evangelische Schüler können sich allerdings bis zu zwei Stunden beurlauben lassen, um an einem Gottesdienst teilzunehmen. Dagegen brauchen katholische Schüler, die Allerheiligen begehen wollen, morgen überhaupt nicht in die Schule zu gehen. Die ganze Schule ins Gotteshaus zu verlegen, ist aber in keinem Fall vorgesehen.

Auch der Zehlendorfer Volksbildungsstadtrat Stefan Schlede (CDU) meinte, er als Christ finde den Gottesdienstbesuch „vielleicht pädagogisch sinnvoll“, doch stehe er „nicht in Übereinstimmung mit den rechtlichen Gegebenheiten“.

Die Schule scheint aber entschlossen, sich in ihrem religiösen Eifer nicht aufhalten zu lassen. Nach Angaben von Eltern ist den Schülern bis gestern nicht mitgeteilt worden, daß sich an dem im Elternbrief angekündigten Verfahren etwas ändern würde. Konrektor Sommer, Absender des Rundschreibens, mochte sich dazu nicht äußern. „Ich werde den Teufel tun, mich mit der Presse darüber zu unterhalten“, sagte der Pädagoge und legte den Hörer auf.

Auch über den Versuch, den Schülern anderer Konfession den Kirchgang mit der Ankündigung eines „ökumenischen“ Gottesdienstes schmackhaft zu machen, zeigte sich der Leiter der Schulaufsicht, Hans Brand, verwundert. Er bezweifelte, daß Katholiken Gefallen daran finden könnten, ausgerechnet den Reformationstag zu begehen. Der Pressesprecher der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Reinhard Stawinski, sieht darin kein Problem, sondern „ein Zeichen dafür, daß die konfessionellen Unterschiede heute nicht mehr so gravierend sind wie früher“.

Pfarrer Reinhard Tietz, der den heutigen Schülergottesdienst leitet, sieht in dem Elternbrief eine schlichte „Einladung“. Die Schüler hätten selbstverständlich das Recht zu Hause zu bleiben. „Druck und Zwang passen nicht zu uns.“ Ralph Bollmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen