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Unterm Strich

Traurig beginnt der Tag mit einer alten Platte von Gil Scott-Heron. Dort ist „Winter in America“, und Menschen hängen voll des Alkohols auf den Straßen herum. Da möchte man gern seinen Teil zu beisingen, aber man ist halt nicht „Sprachrohr der Stimmlosen“. Im Gegentum, das eigene Organ knickt einem schon bei Scott-Herons erstem Tremolo weg. Andere schicken dafür Gedichte, die mit feuchter Hand „In den Wind gereimt“ und anschließend irgendwo aus Nürnberg herübergefaxt wurden. So wollte ein Herr namens Wolf Martin gewisse Sätze loswerden wie: „Wer anders denkt, der wird verachtet./ Wer rechtsgesinnt, der wird gehaßt./ Denn rechts ist böse – links, das paßt.“ Da kann man dem Herrn Martin eigentlich nur den einen Rat geben: Laß von den Sprachrohren und Stimmlosen, und versuche es doch lieber mit Rubbellosen. Denn wenn man Lose rubbelt, wird kein Organ nicht wegknicken. Das Wetter.

Nachdem sich die halbe Republik den Kopf über Vorzüge und Nachgeburten einer möglichen Rechtschreibereform zerbrochen hat, melden sich nun auch Künstler zu Wort. Die umstrittene Reform, nach der man künftig auch „Majonäse“ statt „Mayonnaise“ verwenden kann, sollte nach Ansicht der berlin-brandenburgischen Akademie der Künste nicht allein Politikern überlassen werden. Ein entsprechender Appell des Autors Wolfgang Kohlhaase wurde auf der Herbst-Mitgliederversammlung der Akademie am Wochenende mit großem Beifall aufgenommen. Der Streit sei von größtem öffentlichen Interesse und sollte vor allem von jenen, die mit dem Wort umgehen, begleitet werden. Kohlhaase, langjähriger Mitarbeiter des DDR-Regisseurs und Akademiepräsidenten Konrad Wolf, erinnerte daran, daß es schon zu Zeiten der DDR- Akademie Überlegungen gegeben habe, welche Konsequenzen eine Reform der deutschen Rechtschreibung für Literatur und Kunst habe. Ganz sicher ist sich indes der baden-württembergische Regierungschef Erwin Teufel (CDU). Er wird weiterhin Mayonnaise schreiben: „In einer Welt, in der internationale Kommunikation zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, darf Deutschland nicht provinzlerisch Neuregelungen einführen, mit denen man sich vom Sprachgebrauch und der Schreibweise der anderen Länder abkoppelt.“ Eben, die Amis sagen schließlich auch Wurst.

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