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Rußlands Liberale bleiben außen vor

Wahlkommission schließt Jabloko-Block von den Parlamentswahlen im Dezember aus. Ex-Premier Gaidar droht mit Boykott – Gerüchte über Verschiebung der Wahlen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Rußlands Zentrale Wahlkommission hat am Wochenende eine der aussichtsreichsten Gruppierungen des liberal-demokratischen Spektrums von den im Dezember bevorstehenden Parlamentswahlen ausgeschlossen. Die Entscheidung, ausgerechnet den Wahlblock „Jabloko“ des populären Politikers und Ökonomen Grigorij Jawlinski nicht zu registrieren, sorgte für eine Welle der Empörung über Parteigrenzen hinweg. Sofort wurden Spekulationen laut, einflußreiche, konservativ orientierte Kreise um den erkrankten Präsidenten Jelzin wollten die Chance nutzen, um mißliebige Mitbewerber auszuschalten oder einen Aufschub der Wahlen zu erzwingen.

Bereits am Sonnabend war die Organisation „Derschawa“ (Großmacht) – eine konservative nationalistische Gruppierung des ehemaligen Vizepräsidenten Alexander Ruzkoi aus formalen Gründen nicht zugelassen worden. Ruzkoi hatte im Oktober 1993 die Rebellion des Parlaments gegen Präsident Jelzin angeführt und mehrere Monate im Gefängnis gesessen.

Der Vorsitzende der Wahlkommission, Nikolai Rjabin, begründete die Entscheidung in beiden Fällen mit einer Reihe von Formfehlern, die den Antragstellern unterlaufen sei. So hatte Jabloko sechs der 200 Kandidaten auf einen Sitz im Parlament nachträglich von ihrer Liste gestrichen und das offenkundig gegen ihren Willen. Statt der 200.000 Unterschriften, die erforderlich sind, um registriert zu werden, hatte der Block über 200.000 Unterschriften eingereicht.

Bei Ruzkois Derschawa hatten 80 der 270 Kandidaten versäumt, ihre Teilnahme formell zu bestätigen oder ihren Rückzug von der Liste mitzuteilen. Nach Rjabins Kritik seien damit die 200.000 Unterschriftleistenden über die Zusammensetzung der Kandidaten in die Irre geführt worden. Mit Blick auf die fast eine Million Parteigänger Jablokos, deren politischer Wille nicht beachtet würde, sollte Jawlinski tatsächlich außen vorbleiben, meinte Rjabin: „Wir verstehen den Grad unserer Verantwortung. Wir verstehen, daß eine große Wählerschaft verloren ist, doch wir müssen uns an das Gesetz halten.“

Angeblich hatten Rjabin, den Vorsitzenden Jablokos schon im vorhinein informiert, um die „Unregelmäßigkeiten“ des Antrages zu korrigieren. Allerdings habe Jawlinski darauf „hochnäsig“ reagiert. „Man mag der Meinung sein, Jabloko habe eine Fraktion im Parlament und Einfluß im Land und könne daher das Gesetz verletzen“, kommentierte der Kommissionsvorsitzende, der sich schon früher einen Namen als Paragraphenfuchser gemacht hatte. „Wir sind aber anderer Meinung.“

Allerdings hatte die Wahlkommission in den Vortagen selbst Schlampigkeit an den Tag gelegt. Bei der Überprüfung der Abgeordneten hinsichtlich ihrer „polizeilichen Führung“, waren einige gravierende Fehler unterlaufen. Neben einfachen Kriminellen, die sich um ein Mandat bewarben, schloß sie auch Kandidaten aus, die nur im Verdacht einer Straftat standen oder die während des sowjetischen Unrechtssystems als Dissidenten einsaßen. Die peinlichste Entgleisung unterlief ihnen mit Menschenrechtler Sergej Kowaljow, der ebenfalls auf der Schwarzen Liste stand.

Die politischen Aktivisten in Moskau wollen sich mit der rein juristischen Begründung Rjabins nicht abfinden. Selbst Premierminister Tschernomyrdin äußerte sein Bedauern: Die Entscheidung war zumindest schlecht bedacht und schädlich, nicht nur für den Wahlkampf, sondern auch für die Demokratie im Land.“

Der Vorsitzende der zweiten größeren demokratischen Vereinigung, „Wahl Rußlands“, der ehemalige Premier Jegor Gaidar verurteilte ebenfalls die Entscheidung. Trotz benachbarter politischer Positionen sind sich Jawlinski und Gaidar spinnefeind. Versuche des ehemaligen Premiers angesichts eines drohenden Wahlsiegs aus Kommunisten und Nationalisten, Jawlinski zu einer Koalition der Demokraten zu bewegen, schlugen mehrfach fehl. Gaidar kritisierte den Ausschluß des Konkurrenten. Sollte die Entscheidung nicht revidiert werden, würde die Wahl zu einer „Farce“. Unter diesen Umständen überlege sich auch seine Partei, nicht an den Wahlen teilzunehmen. Ganz genau festlegen wollte er sich allerdings noch nicht. Jabloko appellierte gestern bereits an das oberste Gericht, das für derartige Vorkommnisse zuständig ist. Das Gericht muß innerhalb von drei Tagen sein Urteil fällen.

Angesichts des massiven politischen Drucks ist davon auszugehen, daß das Gericht eine Lösung findet, die in diesem Fall den höhergeordneten Interessen des Landes entspricht. Eine nicht ganz leichte Entscheidung, wenn das Gesetz mit dem politischen Ziel der Demokratisierung auf so törichte Weise in Konflikt gerät. „Ich hoffe, daß gesunder Menschenverstand und Verantwortung die Oberhand gewinnen werden, und daß ein legaler Weg gefunden wird, den Fehler zu korrigieren“, gab Ministerpräsident Tschernomyrdin den Rechtsvertretern mit auf den Weg.

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