Das Geld liegt auf der Straße

Peter Kirstein arbeitet seit 30 Jahren als Saubermann und haßt noch immer keine Hunde, doch die Lust am Schnee ist ihm gründlich vergangen  ■ Von Anette Fink

Rund um einige Schaukästen auf dem Kurfürstendamm liegen die Fetzen eines zerrissenen Prospekts auf dem regennassen Gehsteig. Das nervt und hält auf. Man muß den Besen fest aufdrücken, die Dinger haften hartnäckig am Boden. Mit den meisten Begleiterscheinungen seiner Arbeit scheint sich Peter Kirstein jedoch abgefunden zu haben. Damit, daß der Wecker um halb vier klingelt und er dann nur ein paar Schluck Kaffee hinunterbekommt, jeden Morgen, auch samstags und sonntags. Oder mit dem strömenden Regen, der ihm aus dem schütteren grauen Haar von der Stirn tropft und die Schultern seiner orangefarbenen Jacke schon jetzt – eine halbe Stunde nach Schichtbeginn – durchnäßt hat. Kirstein ist „Handreiniger“ bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR). Der 52jährige Saubermann schwingt seit 30 Jahren den Besen.

Nicht einmal zum Hundehasser ist er in der Zeit geworden. Bevor er den nächsten weichen Haufen auf die Schaufel kehrt, hält er einen Moment inne und zieht die Schultern hoch. Was will man machen? Die Hunde sind nun einmal da.

40 Tonnen Kot und 70.000 Liter Urin von knapp 100.000 Hunden fallen jeden Tag in Berlin an. Dabei ist ja schon vieles besser geworden, meint Peter Kirstein. Ginge es nach dem Gesetz, müßten sie den Dreck von ihrem Fifi selbst wegmachen und ein Bußgeld bezahlen, wenn sie es nicht tun. Aber wenn man mal was sagt, heißt es gleich: „Wofür zahle ich Hundesteuer?“ Die denken, daß die Straßenreinigung von der Hundesteuer bezahlt wird. Dem ist aber nicht so: „Man zahlt auch Steuer für die Feuerwehr und darf trotzdem sein Haus nicht anzünden.“

Eigentlich hatte es nur ein Job für den Übergang sein sollen, bis sich was besseres findet. Die Eltern hatten Peter Kirstein in eine Bäckerlehre gedrängt. „Da bin ich keinen Tag länger geblieben, als die vorbei war. Das war nichts für mich.“ Kirstein fand Arbeit in einer Papierfabrik. 1964, kurz vor Weihnachten, machte die dicht, „und mit Sozialplänen war ja damals noch nüscht.“ Also ging er zur Stadtreinigung.

Morgens noch im Dunkeln, wenn nicht einmal die Vögel singen, schiebt er den Karren mit den zwei Behältern für Mülltüten, einem Besen und einer Schaufel vom Betriebshof in der Charlottenburger Niebuhrstraße zwei Ecken weiter bis zur Wielandstraße, wo sein Revier anfängt. Auf der rechten Straßenseite kehrt er hinunter bis zum Kudamm, auf dem Kudamm bis zum Adenauerplatz, dann auf der anderen Seite zurück. Um neun Uhr ist eine halbe Stunde Frühstückspause, bis zum Dienstschluß um halb zwei beseitigt Kirstein den Unrat rund um den Olivaer Platz. Ingsesamt kehrt er eine Strecke von vier Kilometern, so wie jeder seiner Kollegen. Dafür bekommt er 3.601,83 Mark brutto, auf dem Lohnstreifen der Ost-Mitarbeiter stehen dagegen nur 2.953,50 Mark.

Die Route wechselt innerhalb des Bezirkes jedes Jahr. Das soll – da die einzelnen Touren unterschiedlich arbeitsaufwendig sind – der Gerechtigkeit dienen oder vielleicht auch, wie Kirstein vermutet, der Anbahnung von allzu vertrauten Kontakten zu Anwohnern entgegenwirken. Er kennt seine Pappenheimer, die zur gleichen Zeit unterwegs sind: den Zeitungsboten, der Peter Kirstein mit „was ein Wetter heute“ den Tagesspiegel zusteckt, oder den Bäckerjungen, der den Hotels die Schrippen liefert.

In 30 Jahren auf den Straßen der City hat Peter Kirstein einiges erlebt. Die Nachtschwärmer, die aus den Diskotheken und Kneipen strömen, bieten ihm gerne Prügel an. Wenn sie zu Späßen aufgelegt sind, klauen sie den Karren und nehmen ihn auch schon mal mit in die U-Bahn. Immer wieder halten Passanten ihn wegen der dunklen Haare und dem Schnauzbart für einen Türken und fragen: „Wo sein nächste Post?“ Einmal habe ihn sogar ein Türke als vermeintlichen Landsmann angesprochen. Und Geld liegt häufig auf der Straße, meistens Münzen, aber auch mal ein Zehner.

Knapp 1.600 Männer arbeiten als Handreiniger, Fahrer von Kehrmaschinen oder in der Kolonne, die die 23.000 Abfalleimer leert. Frauen, erklärt BSR-Sprecher Bernd Müller, werden „auf keinen Fall aus diskriminierenden Gründen“ nicht in diesem Bereich eingesetzt. Die Betriebshöfe müßten für sie zusätzlich Damentoiletten und -duschen einbauen. Die Arbeit sei körperlich sehr anstrengend, und Frauen könnten ja doch eher mal ausfallen. Und wer im Sommer den Männern zusieht, wie sie lässig von einem Hundehaufen zum nächsten schlendern, ab und zu ein Päuschen einlegen und die Nase in die Sonne halten, der mag glauben, was Müller sagt: „Bei uns ist es eben schön. Wer mal hier angefangen hat, bleibt in der Regel bis zur Rente.“

Weil es so schön ist, sind Straßenreinigung und Müllabfuhr keinesfalls ein Refugium für Ausländer, Haftentlassene oder andere Chancenlose auf dem Arbeitsmarkt. Im Gegenteil: „Die BSR war schon immer eine Domäne der deutschen Mitarbeiter.“ 1994 waren unter den mehr als 9.000 Beschäftigten gerade mal 294 Ausländer.

Nach dem Zusammenschluß rüstete die BSR die Straßenreinigung im Ostteil noch mit 600 neugeschaffenen Arbeitsplätzen auf. Doch jetzt ist Entschlackung angesagt. Anfang 1994 wurde die BSR von einem Eigenbetrieb des Landes Berlin in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt. Seitdem muß sie mit eigenen Haushaltsmitteln wirtschaften. Außerdem soll sie mit privaten Anbietern konkurrieren können. Rund 900 Arbeitsstellen, die im letzten Jahr freigeworden sind, hat die BSR nicht mehr neu besetzt. In den nächsten Jahren sollen weitere 2.000 Stellen „sozialverträglich“ abgebaut werden.

Peter Kirsteins Job ist wenig angesehen: „Det stimmt.“ Am Anfang hatte er in Charlottenburg gewohnt, da sei es schon sehr unangenehm, wenn ihn die Nachbarn gesehen haben. Von einem Traumberuf hat er nie geschwärmt, „es sollte nur was an der frischen Luft sein“, und das hat er ja bekommen. „Und es hat auch seine Vorteile. Das Geld ist regelmäßig auf dem Konto, und ich bin unkündbar, jedenfalls solange ich den Laden nicht anstecke.“ Wenn er Urlaub hat, fliegt Kirstein in den Süden, niemals in Winterurlaub. Die Lust am Schnee ist ihm bei der Stadtreinigung vergangen.