: Neuer Nabel der Fußballwelt
Mit Rupert Murdochs Fernsehmillionen kaufen Englands Fußballvereine massenhaft Weltstars ein, schrecken aber auch vor Kinderhandel nicht zurück ■ Von Ralf Sotscheck
Halb Europa war hinter ihm her, doch Brasiliens Starfußballer Juninho ging zum nordostenglischen FC Middlesbrough, der gerade in die höchste englische Spielklasse aufgestiegen ist. Im Handumdrehen waren sämtliche Dauerkarten verkauft, am Samstag wird der 22jährige, der so groß wie Maradona ist, halb so breit, aber angeblich fast so gut, dem „Boro“- Publikum gegen Tony Yeboahs Club Leeds United präsentiert. Der FC Middlesbrough, dessen Manager Ex-Nationalspieler Bryan Robson ist, hat 4,75 Millionen Pfund – fast elf Millionen Mark – für den Brasilianer nach São Paulo überwiesen. Dabei war es bei weitem kein Rekordtransfer. Der FC Liverpool blätterte Anfang der Saison knapp 20 Millionen Mark für Stan Collymore hin, aber einen Stammplatz hat der teure Neuzugang nicht.
Mit Yeboah, Cantona, Gullit, Ginola, Bergkamp und jetzt Juninho kickt fast eine Weltauswahl mittlerweile in England. Wo haben die Vereine das Geld her? Von Rupert Murdoch. Der australische Medienzar hat seinem privaten Sportsender „Sky Sports“ 1992 die Übertragungsrechte gesichert. Die Spiele werden verschlüsselt gesendet: Wer englischen Fußball sehen will, muß eine monatliche Gebühr für einen Decoder an Sky zahlen. Zur Zeit verhandelt Murdoch über eine Vertragsverlängerung. Zwar sind die Zahlen noch nicht auf dem Tisch, aber es dürfte um mindestens 1,2 Milliarden Mark für die Vereine der höchsten Spielklasse, der Premier League, gehen.
Davon können die 72 Vereine der unteren drei Ligen nur träumen. Sie bekommen vom Privatsender ITV umgerechnet jeweils rund 460.000 Mark, doch der Vertrag läuft Ende der Saison aus. Der englische Fußballverband hat dem Ligavorstand, der aus den Präsidenten von sechs unterklassigen Clubs besteht, ein Angebot gemacht: 270 Millionen Mark für fünfjährige Übertragungsrechte. Der Verband will diese Rechte zusammen mit dem englischen Pokal und den Spielen der Nationalmannschaft an Murdoch zum doppelten Preis losschlagen. Aber auch die Premier League ist hinter den Rechten für die unteren Ligen her, könnte man sich in diesem Fall doch ebenfalls als Paket anbieten und den Preis bei Murdoch hochtreiben. Darüber hinaus liegt es im Interesse aller Beteiligten, die Niveau-Unterschiede zwischen den Profiligen nicht zu groß werden zu lassen, denn Spannung erhöht das Zuschauerinteresse. Das hat Aufsteiger Middlesbrough bewiesen, der in der Spitzengruppe der Premier League mitmischt – auch schon vor der Ankunft des Millioneneinkaufs Juninho.
So atemberaubend die Ablösesummen sind, so ist in vielen Fällen Skepsis angebracht. In der vergangenen Saison haben 400 Spieler den Verein gewechselt, aber nur die Spitzendeals haben Schlagzeilen gemacht. Und oftmals beruhten diese Schlagzeilen auf Spekulationen, denn die Vereine müssen die Verträge keineswegs offenlegen. Die Summe, die dann in der Zeitung steht, enthält manchmal die Mehrwertsteuer, während Zusatzvereinbarungen gar nicht bekannt werden. So müssen wie im Fall des Bremers Mario Basler, wo Hertha BSC Berlin bei einem Verkauf mitkassiert, vielleicht zehn Prozent der Ablösesumme an den vorigen Club abgegeben werden, in anderen Fällen werden Ratenzahlungen über zwölf Monate vereinbart. Wenn ein Spieler also fünf Millionen Pfund kostet, sieht sein Heimatverein vorerst oft nur 1,8 Millionen davon.
Ablösesummen sind fast so alt wie der Fußball selbst. Die Schallgrenze von 1.000 Pfund wurde schon 1905 von Alf Common gebrochen. Der Verkauf schlug so hohe Wellen, daß der Verband danach einen Höchstbetrag von 350 Pfund festlegte. Der hatte vier Monate Bestand. Trevor Francis war 1979 der erste Spieler, für den eine Million Pfund berappt werden mußte – inklusive Mehrwertsteuer. Manchmal verhandeln die Vereine über den Kopf der Spieler hinweg. Chris Waddle erfuhr erst Jahre später, daß AS Rom ihn kaufen wollte. Tottenham Hotspur war das Angebot jedoch zu niedrig.
Eine Ablösesumme wird in England auch dann fällig, wenn der Vertrag ausgelaufen ist – sofern der alte Verein die Vertragsverlängerung zu den bisherigen Bedingungen angeboten hat. In Belgien läuft das anders: Jean-Marc Bosman wurde vom RFC Lüttich nicht nur das Gehalt um drei Viertel gekürzt, sondern obendrein die Freigabe verweigert. Der Europäische Gerichtshof entschied, daß Lüttich damit gegen die Römischen Verträge und den darin festgelegten freien Personenverkehr verstoßen habe. Sollte das Urteil im Dezember bestätigt werden, müßten sich die Vereine etwas einfallen lassen.
Aber auch im Jugendbereich wird der Kampf um die Talente immer härter, dafür haben nicht zuletzt die schwindelerregenden Ablösesummen gesorgt. Dabei geht es nicht immer mit rechten Dingen zu. Die Spielervermittler treiben sich auf allen Bolzplätzen der britischen Inseln herum, immer auf der Suche nach Ausnahmetalenten, die sie in die „Vorzugsfußballschulen“ der Premier-League-Clubs locken wollen. Da fällt für die Eltern schon mal eine Waschmaschine, der Jahresbedarf an Lebensmitteln oder auch mehr ab. Für Kane Jackson, der Anfang des Monats acht Jahre alt geworden ist, hat ein Vermittler umgerechnet knapp eine viertel Million Mark geboten. Der arbeitslose Vater lehnte ab: „Ich kann doch nicht meinen eigenen Sohn verhökern.“
Für die Vereine lohnt sich die Investition allemal, das hat Manchester United bewiesen: Wenn der Verein seine Eigengewächse Ryan Giggs, Paul Scholes und Nicky Butt verkaufen würde, kämen mindestens 40 Millionen Mark in die Kassen. Der Club liegt zur Zeit im Rechtsstreit mit Arsenal: Es geht um den 16jährigen Matthew Wicks – und um vier Millionen Mark.
Spielern im Alter von Kane Jackson dürfen die Vereine allerdings kein Geld bieten, darüber wacht der Verband mit Argusaugen. Es sei lächerlich, daß Kinder keine Fußballverträge abschließen dürfen, meint dagegen der Talentspäher Eric Hall. „Shirley Temple war sieben, als sie langfristige Verträge mit Filmstudios unterzeichnete“, sagt er. Freilich benötigten die Mini-Beckenbauers dafür einen Agenten. Man müsse sich mal vorstellen, sagt Hall, wie so ein Kid mit gewieften Managern wie Kenny Dalglish verhandeln würde: „Die würden ihn doch glatt mit einem Lutscher abspeisen.“
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