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Marionetten im politischen Spiel

Im 50. Jahr seiner Unabhängigkeit wurden in Indonesien zwei Journalisten zu 32 Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie „Haß gegen die Regierung“ gepredigt hätten – und das auf der Grundlage einer Bestimmung aus der Kolonialzeit  ■ Von Kifuat Oke

Sie brüllten, sie schrien, sie kletterten auf Bänke und schwenkten ihre Transparente. Am 1. September herrschte Chaos im überfüllten Zentralgericht von Jakarta, als zwei Journalisten, Eko Maryadi, 27, und Achmad Taufik, 30, zu jeweils 32 Monaten Gefängnis verurteilt wurden, weil sie „Haß gegen die Regierung“ gepredigt hätten.

Nach der Urteilsverkündung beschimpften Dutzende studentischer Aktivisten und Journalisten Richter Madjono Widiatmadja; sie nannten ihn „dumm“ und einen „Speichellecker“. Aber der Richter schlug nur mit seinem Hammer auf den Tisch; er berief sich auch nicht auf „Mißachtung des Gerichts“, um den Protest einzudämmen. „Das wagte er nicht zu sagen, weil er weiß, daß wir ihn nicht mehr achten. Daß wir wissen, daß er nur eine Marionette im politischen Spiel ist“, sagte einer der Aktivisten.

Und einer der Verteidiger sagte nach dem Verfahren: „Wenn wir den Prozeß von Anfang an bis zum Urteil betrachten, dann drängt sich der Verdacht auf, daß alles von vornherein abgesprochen war.“ „Politisches Spiel“ und „alles abgesprochen“ müssen die im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen Taufik und Maryadi am häufigsten verwendeten Ausdrücke sein. Beide sind führende Mitglieder der inoffiziellen Allianz unabhängiger Journalisten (AJI), die im August letzten Jahres gegründet wurde, um sich nach dem Verbot von drei führenden Publikationen im Juni zuvor – Tempo, DeTik und Editor – für die Pressefreiheit einzusetzen.

Politische Spielchen im Vordergrund

Taufik und Maryadi wurden am 16. März 1995 unter der Anklage verhaftet, sie hätten die ungenehmigte AJI-Publikation Independen verteilt und verkauft und „Haß und Feindschaft gegen die Regierung gepredigt“. Nach den bestehenden Bestimmungen brauchen alle Publikationen in Indonesien eine Veröffentlichungslizenz – als SIUPP bekannt –, die vom Informationsministerium vergeben wird. Die AJI lehnt das Lizenzsystem jedoch mit der Begründung ab, es werde zur Kontrolle der Presse eingesetzt.

Obwohl Independen im März verboten wurde, hat die Regierung die AJI selbst noch nicht verboten. Nach starkem Druck durch die Regierung und den offiziellen indonesischen Journalistenverband (PWI) mußten einige AJI-Mitglieder, die für verschiedene lokale Publikationen arbeiten, jedoch kündigen oder auf nicht redaktionelle Stellen ausweichen.

In einem parallelen, aber abgetrennten Verfahren wurde der achtzehnjährige Bürogehilfe Danang Kukuh Wardaya verurteilt, weil er Taufik und Maryadi beim Predigen von Haß gegen die Regierung unterstützt habe. Obwohl Taufik und Maryadi zu diesem Zeitpunkt noch nicht schuldig gesprochen worden waren, wurde er am 24. August zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt.

Alle drei wurden nach Artikel 154 des Strafgesetzes angeklagt, einer Bestimmung, die noch aus der holländischen Kolonialzeit stammt – und immer nur in den Kolonien angewandt wurde –, und die, trotz fünfzigjähriger Unabhängigkeit von den Niederlanden, in Indonesien noch immer in Kraft ist. Taufik, der in diesem Jahr vom Komitee zum Schutz von Journalisten den angesehenen Preis der Internationalen Pressefreiheit erhielt, und Maryadi sind entschlossen, gegenüber „politischer Manipulation“ fest zu bleiben. Und alle drei Verurteilten haben Berufung gegen die Urteile angekündigt.

In diesem fünfzigsten Jahr der Unabhängigkeit Indonesiens ist das politische Spiel in den Vordergrund gerückt. Am 3. Mai dieses Jahres – dem Tag der Pressefreiheit – mußte die indonesische Presse verblüfft vernehmen, daß das verbotene Magazin Tempo eine einstweilige Verfügung gegen Informationsminister Harmako hatte erwirken können, in der sein Verbot des Magazins für illegal erklärt wurde. Alle Welt lobte den Mut von Richter Benjamin Mangkoedilaga, weil er es gewagt hatte, seine Unabhängigkeit zu demonstrieren. Wieder einmal begannen die Indonesier Vertrauen in ihr Rechtssystem zu entwickeln.

Kurz darauf wurde jedoch bekannt, daß Richter Mangkoedilaga von einem Beamten des Informationsministeriums daran gehindert worden war, an der Talkshow „Perspektive“ des privaten Fernsehsenders SCTV teilzunehmen. Mitte des Jahres wurde Richter Mangkoedilaga unerwartet „befördert“ und nach Medan versetzt, der Hauptstadt der Provinz Nord- Sumatra.

Diskriminierende Paßeinträge

Dann wurden im August drei „sehr gefährliche“ politische Gefangene – Subandrio, 81, Omar Dhani, 71, und Sugeng Sutarto, 77 – von Präsident Suharto begnadigt. Die drei waren wegen Beteiligung an dem gescheiterten kommunistischen Putsch 1965 inhaftiert worden. Subandrio war zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Premierminister, Dhani Befehlshaber der Luftstreitkräfte und Sutarto Leiter des Nachrichtendienstes. Sie waren zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Allerdings werden sie, laut Brigadegeneral Suwarno Adiwijoyo, dem Sprecher der indonesischen Streitkräfte, weiterhin „überwacht“ und „angeleitet“.

Ebenfalls im August beschloß die Regierung, den Aufdruck „ET“ (ehemaliger politischer Häftling) aus den Personalausweisen früherer politischer Gefangener zu entfernen. Dieser Aufdruck, der in den siebziger Jahren eingeführt worden war, diskriminierte – wie Angehörige von Menschenrechtsgruppen berichten – nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren unmittelbare Verwandte. Am spürbarsten wurde die Diskriminierung bei Stellenbewerbungen.

Der Aufdruck sollte der Regierung ermöglichen, Aufenthaltsort und Tätigkeit früherer Häftlinge zu überwachen, die mit der verbotenen Kommunistischen Partei (PKI) verbunden gewesen waren. Aber obwohl seit dem 18. August der Aufdruck ET aus den Personalausweisen gekratzt wird, bleibt der Vermerk in der regierungseigenen Datenbank weiterhin gespeichert. „Diese Politik spiegelt die Weigerung der Regierung wider, ihre diskriminierende Politik gegenüber ehemaligen politischen Häftlingen in Verbindung mit der PKI aufzugeben“, erklärte der führende Menschenrechtsaktivist Abdul Hakim Garuda Nusantara. „Das verstößt offensichtlich gegen Artikel 27 der Verfassung von 1945, der die Gleichheit eines jeden Bürgers vor dem Gesetz garantiert.“

Es kann daher nicht überraschen, daß bei den Feiern zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit noch immer viele Indonesier die Parole „Indonesia Emas“ (Goldenes Indonesien) nicht richtig buchstabieren können. Statt dessen sagen sie „Indonesia Cemas“ – Indonesien in Angst.

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