piwik no script img

Vorverurteilung - betr.: "Hakenkralle im Morgengrauen", "Hauptsache militant", taz vom 25.10.95

Ist politisches Bewußtsein der taz abhanden gekommen? Da „bekennen sich anonyme Kernkraftgegner bei dpa zu den Bahnanschlägen“, und schon gibt es einen vorverurteilenden Kommentar gegen „militante AKW-Gegner“.

Schon mal was vom Celler Loch gehört, das der Verfassungsschutz in die Gefängnismauer sprengen ließ, um die Tat der RAF in die Schuhe zu schieben?!

Die Stoßrichtung der bundesweiten Pressekampagne ist klar: Die Anti-Atom-Bewegung, die mit ihrem Widerstand gegen den ersten Castor-Transport nach Gorleben gerade eine Wiedergeburt erlebt, soll in „gute, friedliche“ und „böse, militante“ gespalten werden. Auch das hatten wir schon während der großen Brokdorf-Demonstration!

Auch die taz läßt sich instrumentalisieren, indem sie sich lustig macht über „ganze 25 Seelen, die sich am S-Bahnhof Barmbek“ einfanden, um gegen den BE-Transport zu demonstrieren.

„Friedlicher“ Protest ist der taz keine fünf Zeilen wert. Kommt es zu spektakulären Aktionen, werden diese sensationsgeil ausgeschlachtet und zur Hetze gegen die Anti-AKW-Bewegung mißbraucht. Möge die taz ihre Rolle hinterfragen! Karsten Hinrichsen,

Brokdorf-Kläger

Heike H. bemängelt selber, daß die taz kaum Notiz von kleinen Aktionen nimmt. Anstatt diesmal die halbe Seite für Informationen zum Thema Atomtransporte, Atommüll und auch Widerstand gegen solche zu nutzen, wird über Zugverspätungen berichtet und dann auf eine Art und Weise kommentiert, die die Menschen, die noch auf die Straße/Schiene gehen, wohl kaum motiviert. Daß in diesem Jahr kein Castor mehr ins Wendland fährt, die eigentliche Hauptnachricht des Tages, wird nebenbei erwähnt. Der Widerstand gegen das Atomprogramm war von Anfang an auch militanter Widerstand. Gewaltfreier und militanter Widerstand standen immer nebeneinander. Wer wie dazu steht, ist eine ganz andere Geschichte. Den Menschen, die militanten Widerstand leisten, ihre Aktivitäten vorzuwerfen, nur weil andere – eben die Gewaltfreien – nicht in Massen auf die Straßen strömen, ist einfach frech. Hier wird versucht, die Anti-Atom-Bewegung zu spalten.

Bei der Beschreibung der Gefahren von Wurfankern ist es zu wenig, einfach nur das Geplapper der Bahnpolizei abzuschreiben und „Wurfanker“ als de facto menschengefährdend hinzustellen. Wenn Heike H. schon ins Detail geht und Zugverspätungen zählt, die Zuggeschwindigkeit des heranbrausenden ICF erwähnt, dann möchte ich auch wissen, auf welche Art und Weise Menschen gefährdet waren. Oder sind die „Wurfanker“ vielleicht doch so konstruiert, daß sie eben nicht menschengefährdend sind?

Daß Militanz allein nicht überzeugt, ist gut möglich. Aber sich an der Justiz in diesem Land abzuarbeiten, während die Atommafia ihr Programm abspult, kann auch keine Lösung sein. Unzählige Verfahren haben außer Frust nichts gebracht. Unter den herrschenden Verhältnissen sich auf die Justiz zu verlassen überzeugt leider auch nicht. Kai Anderson

Hallo Heike Haarhoff!

Dein Kommentar ist wohl ein ziemlicher Klopper, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Von einer „Trägheit“ der Anti-AKW-Bewegten kann wohl nicht ernsthaft die Rede sein. Vielleicht hättest du am Tag des letzten Castor-Transports nach Gorleben doch mal den Fernseher anschalten sollen.

2. Warum diese Wurfankersabotage auf Bundesbahn-Oberleitungen auch „unbeteiligte Menschen gefährdet“ bzw. überhaupt Menschen gefährdet, bleibt wahrscheinlich ein Geheimnis, das du nur mit dem von dir zitierten Bahnpolizei-Sprecher teilst.

3. Über dein Geseiere von „Gewaltbereitschaft“, „Bahn-Attentätern“ usw. könnte ich nur noch müde gähnen, wenn ich nicht wüßte, wie freudvoll gewisse Personen in die Hände klatschen, wenn solche Spaltungsversuche in guten und bösen Widerstand diesmal von der taz angestoßen werden.

Was mich allerdings tatsächlich interessieren würde, wäre eine Stellungnahme der taz hamburg-Redaktion, zu der ich an dieser Stelle ganz herzlich einladen möchte. Letztlich geht es ja vielleicht nicht nur um das Schicksal unserer Abos. Frank Meyer

(...) Wer die Anti-AKW-Bewegung als träge bezeichnet, muß insbesondere die letzten Monate in einem totalen Dämmerzustand verbracht haben. Die Anti-AKW-Bewegung ist so lebendig wie lange nicht mehr, ihre Ausdrucksformen sind ein direkter Reflex auf einen Staat, der zur Durchsetzung seines menschenverachtenden Atompro-gramms uns allen elementare Grundrechte beschneidet oder verwehrt und seine eigenen Interessen mit brutaler Gewalt durchsetzt. Bahnanschläge sind also nicht „Hauptsache militant“, sondern wohlüberlegt und abgesichert, so daß selbst die DB, das „Unternehmen Strahlentod“, das mit ihren Atomtransporten das Atomprogramm erst möglich macht, erklärt, daß durch diese Anschläge Menschen zu keinem Zeitpunkt gefährdet sind. Sie sind legitimer Teil des Widerstandes gegen die Staatsdoktrin „Atomenergie“. (...)

Die Verhinderung von weiteren Castor-Transporten nach Gorleben sind Ergebnis des Widerstandes bei Tag und bei Nacht, vor Gericht und auf der Straße.Holger Müller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen