Das kränkere Geschlecht

■ Zwölf Jahre Frauentherapiezentrum Bremen – durch Nölles Spar-Giftliste bedroht

„Werden sie weiblichen Geschlechts geboren, ist die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben psychisch zu erkranken, größer als bei Männern: Zweimal so viele Frauen wie Männer erkranken an Depressionen, bei den Eßstörungen liegt der Frauenanteil bei 90 Prozent und unter Phobien leiden weitaus mehr Frauen als Männer.“ So faßt eine jetzt vorgelegte Dokumentation des vor zwölf Jahren gegründeten Frauentherapiezentrums in Bremen die einschlägige wissenschaftliche Auffassung zum Thema zusammen.

Frauen als das kränkere Geschlecht? Wohl kaum – nach Ansicht feministischer Therapeutinnen sind frauenspezifische Erkrankungen vor allen Dingen auf die unterschiedlichen Lebensumstände von Frauen und Männern in einer von Männern dominierten Gesellschaft zurückzuführen. Eine Therapie, die dieses nicht berücksichtige, wirke als Komplizin einer Gesellschaft, die Frauen benachteilige – dieser Maxime fühlen sich die sechs Mitarbeiterinnen des Frauentherapiezentrums in ihrer therapeutischen Arbeit verpflichtet.

„Um die 100 Frauen gehen hier bei uns in der Woche durch“, erläuterte gestern Diplom-Psychologin Angela Timm, „in Therapien, in Selbsthilfegruppen und in der Offenen Montagsberatung“. Die meisten Frauen kämen mit Beziehungsproblemen zu ihnen, aber auch Depressionen, Eßstörungen und sexueller Mißbrauch nähmen einen sehr breiten Raum in der Beratung ein, so Timm. Die Frauen kommen vor allem aus einkommensschwächeren Gruppen: alleinerziehende Mütter, Studentinnen, Sozialhilfeempfängerinnen. „Der Bedarf nach kostengünstiger Beratung ist enorm und unsere Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus“, berichtete Christiane Pust, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit im Frauentherapiezentrum. Mit 40 bis 60 Mark pro Therapiesitzung liegt das Frauentherapiezentrum deutlich unter den Sätzten freier TherapeutInnen, die Offene Beratung ist sogar kostenlos.

Durch die jüngsten Sparpläne des Bremer Senats, der das Therapiezentrum bisher mit jährlichen Zuschüssen von 140.000 Mark unterstützt hat, ist auch die Arbeit der feministischen Therapeutinnen gefährdet. Bei Streichung der Gelder müßte das Therapiezentrum seine Pforten schließen – nach Ansicht von Christiane Pust eine Katastrophe: „Das Frauentherapiezentrum ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesundheits-Infrastruktur Bremens.“ Für viele Frauen seien sie die erste und einzige Anlaufstelle bei psychischen und psychosomatischen Problemen. sal

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