Ein Uterus läuft Amok

■ In „Species“ ist Frankenstein eine Frau, die noch besser küßt als Mutter

Großaufnahme: ein Kinderauge mit gut sichtbarer Kontaktlinse. Die Kamera fährt zurück. Das Kind, ein Mädchen, liegt unter einer Glaskuppel in einem Labor. Ben Kingsley steht auf einer Empore und blickt zu dem Mädchen hinab. Er sagt: „Beendet das Experiment!“ Männer mit weißen Schutzanzügen bringen Gaskanister und beginnen, das Mädchen zu vergasen. Mit fassungslosem Gesichtsausdruck steht sie an der Glasscheibe und sieht zu Ben Kingsley hinauf. Der bewegt tonlos den Mund. Wer Lippen lesen kann, versteht: „I'm sorry.“

Eine Bestrafungsphantasie eröffnet „Species“ – ganz passend für einen ziemlich misogynen Science- fiction-Film, dem es offenbar vor allem darum geht, Frauen irgendwie metaphorisch für ihre Gebärfähigkeit zu züchtigen. Damit „Species“ das tun kann, muß Sil, das Mädchen unter der Glasglocke, allerdings die erste Strafaktion überleben. Plötzlich bricht das Mädchen wie weiland Robert de Niro in „Frankenstein“ als Furie durch die Glaswand seiner Gaskammer und entkommt aus dem Labor.

Wer nach diesen ersten Szenen das Kino verläßt, verpaßt nichts Wesentliches mehr. Die ersten fünf Minuten sind packend inszeniert, von da an geht es mit „Species“ steil abwärts ins Reich der Dutzendware. Eine Einstellung noch, in der zwei Helikopter über Ben Kingsley hinwegdüsen, als sollten sie ihm auf seiner Glatze den Scheitel nachziehen, verraten einen gewissen inszenatorischen Übermut und die Kenntnis von „North by Northwest“. Danach halten Fernsehbilder Einzug, gegen die „Akte X“ echt aufregend wirkt.

Bei der schlichten Story von „Species“ hätte allerdings auch ein Meisterregisseur nicht mehr viel retten können: „Aliens“ findet diesmal nicht im Weltraum, sondern in Los Angeles statt. Sil ist nämlich das Resultat eines Gen- Experiments mit einem DNA- Code, den ein Radioteleskop aus dem Weltall aufgeschnappt hat. Auf der Flucht morpht sie sich erst vom Kind zur jungen Frau (gespielt von dem Modell Natasha Henstridge, die zur Zeit auch eine Anzeige für Armani-Parfüm schmückt), später gelegentlich auch zu einem Monster, das der Kreatur aus „Aliens“ verdächtig ähnlich sieht. Ist ja auch vom gleichen Designer, H. R. Giger.

In Los Angeles versucht sie sich mit einem Homo sapiens zu paaren, um – man ahnte es schon – die Welt mit ihresgleichen zu überschwemmen. Dabei stellt sie sich allerdings an, als wollte sie dem Begriff „biologische Waffe“ eine neue Bedeutung geben. Die Auserwählten werden mit der Zunge durchbohrt oder bekommen beim Akt das Rückgrat gezogen, wenn sie nicht parieren. Ja, Freunde, Sex, besonders vor der Ehe, ist sehr, sehr böse und wird bestraft.

Die männermordende Außerirdische wird verfolgt von einem Platoon, zu dem unter anderem Forest Whitaker samt Hängeauge und Michael Madsen, der Ohrenabschneider aus „Reservior Dogs“, gehören. Obwohl der Trupp reichlich Sachschaden anrichtet, gelingt es ihm nicht, eine Paarung zu verhindern, und die Verfolgungsjagden nehmen kein Ende. Ein Uterus läuft Amok. Sind sie nämlich erst mal schwanger, werden Aliens zu Hyänen, und zum Schluß ballert man sich beharrlich durch die Kanalisation von L. A., um außerirdische Mutterfreuden zu verhindern. Ein Kommentar zur strengen kalifornischen Einwanderungspolitik?

Am Schluß befördert Michael Madsen, ein Mann, der offensichtlich eine unglückliche Jugend hatte, die Alienmama mit riesiger, phallischer Wumme und den Worten „here, motherfucker“ (sic!) zur Hölle. Was die deutsche Synchronisation wohl daraus macht? Tilman Baumgärtel

„Species“, USA 1995, Regie: Roger Donaldson, mit Ben Kingsley, Michael Madsen, Forest Whitaker, Natasha Henstridge.