: Diese kalte, stinkende Hölle
■ Von Pornografen und anderen Verbrechern: Die Geschichte des Bremer Rudolf-Alexander-Schröder-Preises, der hitzige Literaturdebatten entfachte/ Vorträge ab Montag
Paris wurde oft besungen, Rom-Beschreibungen füllen ganze Bibliotheken, und wer heute als Dichter auf sich hält, der geht nach New York. Oder er zieht an den Prenzelberg. Nach Bremen aber kommen die jungen Autoren selten. Der junge Friedrich Engels, der in einem Kontor in der Martinistraße arbeitete, notierte vor 155 Jahren: „Die Familien der Patrizier und der Geldaristokraten besuchen Tag für Tag die Börsenhalle, um über Kaffee- und Tabakspreise zu sprechen; das Theater wird selten besucht. Eine Teilnahme an der fortlaufenden Literatur des Gesamtvaterlandes findet hier nicht statt; man ist so ziemlich der Ansicht, daß mit Goethe und Schiller die Schlußsteine in das Gewölbe der deutschen Literatur gelegt seien.“
Wahrscheinlich würde Engels auch heute noch Klagen über die seltenen Theaterbesuche der Hanseaten hören. Verändert hat sich jedoch das Interesse der Bremer an der „fortlaufenden Literatur“. Zuwege gebracht hat diesen Sinneswandel unter den Bremern der mittlerweile mit 30.000 Mark dotierte „Bremer Literaturpreis“. Heute gilt der von der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung verliehene Preis für deutschsprachige Literatur der Gegenwart nach dem Büchner-Preis als der wichtigste Literaturpreis Deutschlands. Nächste Woche steht er wieder zur Verleihung an. Die Chronik von 40 Jahren Literaturpreis ist ein Stück Bremische Zeitgeschichte und stellenweise ein brandheißer Politkrimi.
Kaum hatte sich die Stadt im Jahre 1953 entschlossen, den Rudolf-Alexander-Schröder-Preis zu stiften, mußte man sich wundern: Übereinstimmend lautete der Beschluß, den Bremer Dichter und Architekten Rudolf Alexander Schröder durch die Stiftung zu ehren. Doch der große Mann wollte auch gefragt sein.
Als Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ von der Jury vorgeschlagen wurde, schrieb Schröder: „Koeppens ,Tauben im Gras' möchte ich nicht preisgekrönt sehen, trotz aller Achtung vor dem Talent und der Verve des Autors. Man atmet auf, wenn man aus dieser kalten, stinkenden Hölle entlassen wird.“ Der erste Bremer Literaturpreis Preis ging 1954 an den verdienstvollen Bremischen Schriftstellen Heinrich Schmidt-Barrien. Koeppen ging leer aus.
Zwei Jahre später erhielt der damals 60jährige Ernst Jünger den Preis. Auf Vorschlag des Jurymitgliedes Erhart Kästner wollte man der Auszeichnung den Ruch „moralischer Wohlfahrt“ und die Aura des „Trostpreises“ nehmen und mit Ernst Jünger einen nach dem Krieg von Juroren Gemiedenen auszeichnen. Eine bis heute ambivalente Entscheidung, die auch damals umstritten war. Wie konnte man nur so kurz nach dem Krieg einen so überzeugten Militaristen auszeichnen? Der Fall Jünger sollte nicht das einzige Politikum in der Geschichte des Literaturpreises bleiben.
1958 konnte sich Schröder nicht mit dem von der neunköpfigen Jury vorgeschlagen Paul Celan anfreunden, der schon im Jahre 1956 in Konkurrenz zu Jünger gestanden hatte. Zu hermetisch schienen ihm Celans Gedichte. Konsequenterwei-se verzichtete Schröder darauf, für Celan die Laudatio zu halten. Differenzen über die Auffassung, was Kunst denn dürfe, deuteten sich an.
1960 spitzten sich die Auseinandersetzungen auf einen Skandal zu, der die Konstruktion des Preises verändern sollte.
Einstimmig hatte die Jury sich für Günther Grass' „Blechtrommel“ als Buch des Jahre 1959 entschieden. Doch der Bremer Senat, der bis dahin dem Votum der Gruppe seine Bestätigung geben mußte, verweigerte diese. Einen ganzen Tag lang debattierte man in der Bürgerschaft über Grass' Buch. Wer hatte die „Blechtrommel“ überhaupt gelesen? Das Ergebnis blieb bestehen, der Senat lehnte ab. Man wolle die sich aus der Preisvergabe ergebenden Diskussionen um die außerkünstlerischen Aspekte in Grass' Buch vermeiden, hieß es in vorauseilendem Gehorsam. Was das Außerkünstlerische war: Sex, obszöne Stellen und andere Anstößigkeiten. Als die Jury sich aufgefordert sah, einen Ersatzkandidaten zu benennen, blieb sie konsequent: 1959 gab es keinen Bremer Literaturpreis.
Weitere Konsequenzen folgten: Die Stiftung Schröder-Preis löste sich aus der Abhängigkeit der Politiker. Der Literaturpreis wurde autonom und ab '62 nur noch von der Stiftung vergeben.
Vermutlich war es gerade diese schmerzhaft erkämpfte Unabhängigkeit, die dazu geführt hat, daß die Bremer Jury sich in so besonderem Maße zu einem eigenständigen Urteil verpflichtet sah. Denn die Gefahr, sich von auch noch so hehren politischen-moralischen Zielen einspannen zu lassen, ist bei einem Literaturpreis offensichtlich groß. Jedes Jahr im Oktober verblüffen die Juroren des Nobelpreises die literarische Öffentlichkeit wieder durch die Findigkeit, mit der sie in dem jeweils politisch korrektesten Land des Jahres einen brauchbaren Schriftsteller zu Tage fördern.
Die Bremer Tradition setzt da eher auf Gegenwind als auf Applaus. Besonders heftig blies den Juroren die öffentliche Meinung noch einmal im Jahre 1980 entgegen. Man hatte sich für den Text „Die Glücklichen“ von Peter-Paul Zahl entschieden. „Gewaltverbrecher erhält den Bremer Literaturförderpreis“ titelte der Weser-Report. Leserbriefe prasselten. Man befand sich auf der Höhe der Terroristen-Hysterie und Sympathisanten-Hetze. Zahl saß wegen versuchten Mordes in zwei Fällen im Gefängnis.
15 Jahre später ist nicht nur viel Wasser die Weser heruntergeflossen, es sind auch 30 weitere Preisträger ausgezeichnet worden, denn seit 1977 wird gleichzeitig zum Hauptpreis auch ein Förderpreis an einen jüngeren Autor verliehen. Wirken die Streitereien im Nachhinein lächerlich? „Im Gegenteil“, meint Donate Fink, „gerade die couragierte Haltung der Jury bei Grass und Zahl trägt zum Renommee des Literaturpreises bei.“
Ein neues Urteil ist bald fällig. Am 17. und 18. November wird die Jury erneut tagen. Unter schärfster Geheimhaltung. Damit nichts, aber auch gar nichts außer der literarischen Qualität der Werke die Entscheidung der belesenen Juroren beeinflussen möge. Und während die Findungskomission im Vatikan zum Zeichen ihres Entschlusses für einen neuen Papst ein rauchendes Feuerchen entzündet, werden die Bremer es profaner halten. Hier gibt's ein Fax mit zwei Namen aus dem diesjährigen Literaturbetrieb: den Preisträgern für 1995.
Susanne Raubold
Am Montag in der Kunsthalle: Wolfgang Emmerich „Paul Celan – Ingeborg Bachmann: Begegnung und Verfehlung“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen