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Umstrittene Grenze zum Tod

■ Bündnisgrüne legen eigenen Entwurf für ein Organtransplantationsgesetz vor. Darin lehnen sie das Hirntodkonzept von Gesundheitsminister Seehofer ab

Berlin (taz) – Der Streit um die Frage, wann der Mensch tot ist, geht in eine neue Runde. Als erste Fraktion hat gestern die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Entwurf für ein Transplantationsgesetz vorgelegt. Das bisher bei Organentnahmen angewandte Hirntodkonzept, das den Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen als den Todeszeitpunkt festlegt, wird von den Bündnisgrünen abgelehnt.

Der irreversible Ausfall der Hirnfunktionen wird von den Grünen nur als eine „Phase im Sterbeprozeß“ angesehen. Die „Organentnahme bei einem Hirntoten ist eine Lebendspende“, stellt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Monika Knoche, klar. Deshalb dürfe eine Extransplantation bei Hirntoten auch nur dann vorgenommen werden, wenn der Spender zuvor ausdrücklich seine Zustimmung dazu abgegeben hat. Er willigt damit ein, daß der Sterbeprozeß künstlich verlängert wird, heißt es in einer Erklärung der Grünen.

Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzesentwurf soll deshalb auch zum ersten Mal der Organspendeausweis auf eine gesetzliche Basis gestellt werden. Transplantationschirurgen sollen zukünftig nur dann ein Organ entnehmen dürfen, wenn sie einen vom Spender persönlich ausgefüllten amtlichen Spendeausweis vorlegen können. Diese enge Zustimmungslösung ist für die Grünen zwingend. Alle anderen Regelungen wären für sie „verfassungswidrig“.

Nach den Vorstellungen der Grünen soll auch erstmals der Organhandel gesetzlich unter Strafe gestellt werden. Sowohl die Einfuhr als auch die Ausfuhr von Organen zum Zwecke des Handels sollen unter Strafe gestellt werden. Ärzten, die sich an gewerbsmäßigem Organhandel im Ausland beteiligen, soll ebenfalls eine Strafe drohen. Ein grundsätzliches Verbot wollen die Grünen auch für die Übertragung von embryonalen Zellen, wie zum Beispiel Hirngewebe, festgeschrieben sehen. Die umstrittenen Versuche mit Parkinson-Patienten, die in Hannover und München geplant sind, wären damit nicht mehr zulässig. Den an der Schüttellähmung erkrankten Patienten wollte man dort embryonale Hirnzellen übertragen.

Gesundheitsminister Horst Seehofer hatte ursprünglich vorgesehen, daß ein von allen Fraktionen getragener Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht wird. Diese Vorstellung haben die Grünen nun zunichte gemacht. Hauptkritikpunkt der Grünen war die von Seehofer vorgesehene Todesdefinition, nach der der Hirntod als der Tod des Menschen gesetzlich festgeschrieben werden sollte. Geplant ist jetzt, daß noch dieses Jahr ein Entwurf aus dem Gesundheitsministerium vorgestellt werden soll, der von den restlichen Fraktionen getragen wird. Dann wird, so war aus dem Gesundheitsausschuß des Bundestages zu erfahren, noch einmal eine Expertenanhörung stattfinden. Wolfgang Löhr

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