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Arbeitszeitsouveränität und Arbeitszeitkonto, so lauten die neuen Schlagworte der IG-Metall-Führung. Sie will damit eine Diskussion über die 30-Stunden-Woche hinausschieben und den Vorstellungen der Arbeitgeber entgegenkommen. Doch "Sparkas

Arbeitszeitsouveränität und Arbeitszeitkonto, so lauten die neuen Schlagworte der IG-Metall-Führung. Sie will damit eine Diskussion über die 30-Stunden-Woche hinausschieben und den Vorstellungen der Arbeitgeber entgegenkommen. Doch „Sparkassen für Überstunden“ sind in vielen Betrieben bereits Realität

Geld oder Arbeitsplätze

Das wichtigste Paket sollte erst am siebten Tag verhandelt werden. Die Fragen „Geld oder Freizeit?“ und „Geld oder Arbeitsplätze?“ standen im Mittelpunkt der Entschließung „Solidarität gegen Konkurrenz“, die die rund 650 Delegierten der IG-Metall gestern auf ihrem Gewerkschaftstag in Berlin diskutierten. Im Zentrum des Entwurfs steht die Forderung, daß Überstunden künftig durch Freizeit ausgeglichen werden „müssen“. Überstundenzuschläge könnten „ausbezahlt“ werden.

Die Forderung nach der 30-Stunden-Woche soll damit freilich nicht aufgegeben werden. Man werde, so heißt es in der Entschließung, auch weiterhin Wege finden müssen, „damit darüber hinausgehende Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich möglich werden kann“. Die Diskussion hierüber soll nach dem Gewerkschaftstag beginnen, spätestens 1997 soll dann eine tarifpolitische Fachkonferenz stattfinden.

Dieser zeitliche Rahmen gab all jenen schlechte Karten, die offen die Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden mit vollem Lohnausgleich forderten. Denn ihre Anträge sollten – so die Empfehlung der Antragskommission – mit Verweis auf die kommende Diskussion als erledigt betrachtet werden. Die Forderung nach der 30-Stunden-Woche kam dabei aus durchaus mitgliederstarken Bezirken.

Die IG-Metall-Verwaltungsstelle Osnabrück beispielsweise forderte, „die 30-Stunden-Woche von Montag bis Freitag bei vollem Lohn für alle“ durchzusetzen. Nach Ansicht des Delegierten Joachim Bigus aus Osnabrück ist „Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich kein Ersatz dafür, daß „wir den Anteil der Arbeitnehmer am gesellschaftlichen Reichtum wieder erhöhen wollen“. Auch die 30-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich sei „finanzierbar aus dem gesellschaftlichen Reichtum“ heraus. Die Beschäftigten hätten genug Vorleistungen erbracht. „Die Reallöhne sind gesunken, der gesellschaftliche Reichtum aber hat zugenommen.“ Es sei nur „eine Frage der Kräfteverhältnisse“.

Die Kräfteverhältnisse stehen schlecht für solche Hardliner-Positionen. Derzeit geht das Gerangel in den Betrieben darum, welche Arbeitsstunden als Überstunden gelten und entsprechend teuer bezahlt werden müssen. Die Arbeitgeber möchten am liebsten größtmögliche Flexibilität und den Samstag als Regelarbeitstag. Arbeitszeit am Samstag würde damit nicht mehr höher entlohnt als an anderen Tagen. Außerdem wollen die Unternehmer den Lohn für Überstunden bei Bedarf auch auszahlen können oder für zusätzliche geleistete Stunden lange Ausgleichszeiträume vereinbaren. „Wir brauchen gewisse Puffer zur Abarbeitung von Aufträgen“, hatte erst unlängst der Vorsitzende der baden-württembergischen Metallarbeitgeberverbände, Dieter Hundt, argumentiert.

Die IG Metall dagegen möchte eine größtmögliche „Zeitsouveränität“ der Beschäftigten und die teuren Überstunden beibehalten. Danach würden die Zuschläge beispielsweise für Samstagsarbeit in Höhe von bis zu 50 Prozent entweder ausgezahlt oder gegebenenfalls in entsprechend mehr Freizeit abgegolten. Für eine solche Arbeitsstunde könnten die FacharbeiterInnen dann anderthalb Stunden Freizeit nehmen: eine teure Angelegenheit in den Augen der Arbeitgeber.

Mit ihrer Bereitschaft zu mehr Flexibilität versucht die IG Metall, sich der Wirklichkeit in vielen Betrieben lediglich anzupassen, und die Gewerkschaftsstrategen wissen das auch. „Es hat sich eine Vielzahl betrieblicher Modelle entwickelt, von denen einige nicht mehr durch den Tarifvertrag gedeckt sind“, heißt es in der Entschließung. „Der IG Metall gelang es nicht, hier in der Praxis verbindliche Eckpunkte zu formulieren. Vor allem von seiten der Betriebsräte werden nun Orientierungspunkte eingefordert, die Hilfe für die Vereinbarung betrieblicher Regelungen im Interesse der Arbeitnehmer sein können.“

Viele Betriebe haben schon eigenmächtig gehandelt, mal mehr, mal weniger durch den Flächentarifvertrag gedeckt. Beim Maschinenbauer Babcock Borsig in Berlin landen Überstunden schon auf Arbeitszeitkonten, werden abgebummelt und nicht ausbezahlt. Beim Automobilhersteller Opel montieren die Kollegen zwischen 30 und 38,75 Stunden in der Woche. Innerhalb eines Jahres ist das Zeitkonto auszugleichen, so daß im Durchschnitt eine 35-Stunden- Woche herauskommt. Der Samstag ist kein Regelarbeitstag, denn geleistete Arbeitsstunden werden als Überstunden bezahlt.

Um den Unmut vieler Delegierter zu dämpfen, äußerte sich Zwickel gestern noch einmal zu dem von ihm am Mittwoch vorgeschlagenen „Bündnis für Arbeit“. „Dieses funktioniere nur, wenn die Beschäftigungsbilanz der Unternehmen positiv ist. Wo ist denn da das Risiko?“ Seine Kritiker sehen dies freilich anders. „Wir werden, wenn wir unsere Grundsätze so leicht aufgeben, viel verlieren und nichts, aber auch gar nichts gewinnen“, hatte der Delegierte Jürgen Brandies aus Hanau gerügt. Bei dem Wort „Arbeitszeitsouveränität“ drehe sich „einem der Magen um“. Barbara Dribbusch, Berlin

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