: Israels gefährliche Rechte
Im Zuge des Friedensprozesses sind zahlreiche extremistische Gruppen entstanden, für die die Regierung aus „Verrätern“ besteht ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
In den vergangenen Jahren hat sich in Israel und insbesondere in den besetzten Gebieten ein militanter jüdischer Extremismus ausgebreitet, der zuerst Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung gefordert hat und jetzt zum Mord an dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin geführt hat.
Am 25. Februar 1994 erschoß der zur extrem-religiösen Siedlerszene zählende und ursprünglich aus den USA stammende Arzt Baruch Goldstein mindestens 29 Palästinenser, die in der Ibrahimi-Moschee in Hebron zum Morgengebet angetreten waren. Der Mörder selbst kam dabei ums Leben. Seine zahlreichen politischen Freunde sorgten für ein großartiges Marmor-Grabmal am Friedhof von Kiriat Arba, einer Siedlung nahe der palästinensischen Stadt Hebron in der Westbank, das inzwischen zu einer Art Wallfahrtsort geworden ist. Auch ein prächtiger Gedächtnisband zu Ehren Goldsteins wurde in Hunderten von Exemplaren in Umlauf gebracht.
Goldstein war ein Anhänger des Rassisten Meir Kahane, Gründer der „Jewish Defense League“, die sich unter anderem die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat zum Ziel gesetzt hat. Zu Beginn der 70er Jahre half Goldstein dem Rabbiner Kahane seine rechtsextreme Kach-Partei in Israel zu gründen. Kahane wurde 1990 bei einem Besuch in New York ermordet. Nach seinem Tod spaltete sich Kach in einige Nachfolgegruppen.
Nach dem Massaker in Hebron wurde nichts gegen die vielen tausenden bewaffneten extremistischen Siedler in den besetzten Gebieten unternommen. Die israelische Regierung verbot lediglich die Kach-Bewegung. Allerdings unternahm sie keine ernsthaften Anstrengungen, diesen Beschluß auch umzusetzen. Von Zeit zu Zeit wurden nach Ausschreitungen vereinzelt Kach-Führer festgenommen, aber nur, um sehr rasch wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden. In Interviews machen Kach-Aktivisten keinen Hehl daraus, daß sie auf die israelische Staatsgewalt pfeifen.
Während der jüdischen Feiertage im vergangenen Oktober hielt Kach ein Trainingslager zur militärischen Ausbildung ihrer jungen Mitglieder ab. Einige der maskierten Mitglieder wurden vom israelischen Fernsehen interviewt und stellten dabei klar, daß sie nicht nur Palästinenser, sondern ohne weiteres auch jüdische „Verräter“ umbringen würden. Unter „Verrätern“ verstehen diese Kreise Vertreter der offiziellen Friedenspolitik mit den Palästinensern und den arabischen Staaten. Von polizeilichen Schritten gegen Teilnehmer des militärischen Trainings wurde nichts bekannt.
Die verschiedenen Gruppierungen, die sich im Laufe der Zeit aus der Kach-Bewegung entwickelt haben, sind jedoch nur ein kleiner Teil des breiten rechtsextremen Lagers. Ihre politischen Positionen wirken häufig geradezu tonangebend für die im Parlement vertretenen rechten Oppositionsparteien. Die Führer des oppositionellen Likud-Blocks sehen sich gezwungen, den extremsten Postitionen der außerparlamentarischen Protestgruppen der Siedler und ihrer Anhänger in Israel selbst nachzueifern.
So konnte man bei Demonstrationen gegen den Friedensprozeß auch von Likud-Anhängern immer öfter den Ruf hören: „Rabin ist ein Verräter! Rabin ist ein Mörder!“ Bei einer der letzten Protest- Demonstrationen gegen das Oslo- II-Abkommen über eine Ausweitung der Autonomie auf die Westbank in der Innenstadt von Jerusalem trugen Demonstranten Plakate mit einer Fotomontage, die Rabin in einer SS-Uniform zeigen.
Während der Verhandlungen über das Oslo-II-Abkommen gab eine Gruppe einflußreicher Rabbiner („Union of Rabbis for Eretz Israel“) einen Beschluß herhaus, demzufolge religiöse Angehörige der israelischen Armee den Befehl verweigern müssen, wenn Militäreinrichtungen in den besetzten Gebieten verlegt werden sollen. Damit soll verhindert werden, daß Teile von „Eretz Israel“ an Nicht- Juden übergeben werden.
Ebenfalls in diesem Sommer traten 105 prominente rechtsoppositionelle Persönlichkeit mit einem „Ehrenkodex“ an die Öffentlichkeit, der „das Verhalten der Bevölkerung gegenüber der Regierung der Kollaborateure mit dem (palästinensischen) Feind“ festlegt. Die Unterzeichnenden erkennen die Friedensabkommen nicht an und sprechen der „terroristischen“ Rabin-Regierung die Legitimation schon allein deshalb ab, weil sie sich im Parlament auch auf arabische Stimmen stützt. In dem „Kodex“ wird eine mögliche Verlegung von Siedlungen als Verbrechen bezeichnet, dem man sich widersetzen muß. Derlei und andere „Friedensverbrechen“ der Rabin- Regierung sollen registriert werden, damit die „Verbrecher“ in Zukunft wegen „antijüdischer Verordnungen“ zur Rechenschaft gezogen werden können. Darüber hinaus haben führende israelische und US-amerikanische Rabbiner gemeinsam bekanntgegeben, daß Demonstrationen gegen einen israelischen Rückzug aus der Westbank auch am Sabbat gestattet sind.
Wiederholte Rufe linker Kreise nach Regierungsmaßnahmen gegen diese äußerst bedenkliche Entwicklung blieben ungehört. Aus Angst vor einer weiteren Eskalation und einer noch schärferen Auseinandersetzung mit der Opposition zog die parlamentarisch schwache Regierung eine defensive Befriedungsstrategie gegenüber dem rechten Lager vor – vielleicht auch in der Hoffnung, die weniger extremen Elemente für ihre Friedenspolitik zu gewinnen. Gleichzeitig konnte man bei Verhandlungen mit der arabischen Seite auf den Druck der eigenen Opposition hinweisen, der keine israelischen Konzessionen zulasse.
Inzwischen sind noch weitere Protestbewegungen gegen die Regierung entstanden. Die radikale „Zu Arzenu“ („Das ist unser Land“) mit vornehmlich religiösem Anhang organisierte zahlreiche Blockaden verkehrsreicher Straßen in Israel. Dieser Bewegung nahm sich insbesondere der Abgeordnete Rehavam Ze'evi an, der Führer der rassistischen Moledet-Partei, die Massenvertreibungen der arabischen Bevölkerung befürwortet.
Bereits vor mehr als zwei Monaten wurde berichtet, daß der Geheimdienst Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz des Ministerpräsidenten und der Mitglieder seiner Regierung angeordnet hat. Zuvor hatte es Warnungen gegeben, daß die Extremisten die Hoffnung aufgegeben haben, ein Abkommen mit den Palästinensern über die Westbank mit politischen Mitteln zu verhindern, und nun Gewaltaktionen gegen Regierungsmitglieder in Betracht ziehen.
Bei einer von allen anglosächsischen Einwandererorganisationen getragenen Veranstaltung im Wingate–Sportzentrum in Zentralisrael mußte der als Hauptredner eingeladene Rabin im Oktober von seinen Sicherheitskräften vor tätlichen Angriffen extremistischer Rowdys geschützt werden.
Nach diesem Vorfall in Wingate schrieb der Chefredakteur des Jerusalem Report, Hirsh Goodman: „Die Israelis haben einen neuen Feind: sich selbst. Die politische Spaltung ist tief und breit geworden; und Hysterie und Haß haben Debatten ersetzt ...
Eine Kultur der Gewalt liegt überall in der Luft. Die Führer der Nation werden physisch und verbal angegriffen, wo immer sie hinkommen, und Stimmen der Vernunft unter der Rechten werden niedergebrüllt. Dahinter steht nicht nur eine kleine Randgruppe, sondern eine sehr starke und mächtige Kraft. Sie hat eine ernst zu nehmende Vertretung in der Knesset, die den Ton angibt, und sie hat genügend Mittel zur Verfügung, um im ganzen Land zu agieren.
Weil diese Leute mit demokratischen Mitteln nicht gewinnen können, haben sie den Kampf auf die Straße getraten. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die demokratischen Institutionen des Landes in die Gosse gezogen werden, das Chaos zur Norm wird.“
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