: Variantenreiche Verstöße
■ Abgeschöpft: Statt Entscheidendes gegen die Tyrannei des Autoverkehrs zu tun, kassiert Hamburg lieber Gebühren fürs Abschleppen Von H. Haarhoff
Wenn es darum geht, die leere Staatskasse zu füllen, werden die Regierenden dieser Stadt zu leidenschaftlichen Jägern und Sammlern: Finanzsenator Ortwin Runde plündert bevorzugt die Konten seiner Kollegen, Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus ist ebenso erfolglos wie verbohrt auf der Pirsch nach Schwarzarbeitern und Millionen für die Hafenerweiterung.
Diesem Bemühen will der Präses der Behörde für Inneres, Hartmut Wrocklage, selbstverständlich in nichts nachstehen. Wenig originell, dafür aber sehr effektiv, hat er sich aufs Entführen von Autos spezialisiert: 150 AIA – herkömmliche Politessen, deren Image mit der neuen Berufsbezeichnung „Angestellte im Außendienst“ aufgewertet werden soll – sind im Namen ihres Dienstherrn auf Hamburgs Straßen unterwegs, um Falschparkern und sonstigen Verkehrs-Ignoranten einen Denkzettel zu verpassen.
Mit uns Orientierungslosen treibt der Senator ganz besonders gern seine kostspieligen Späße: Erst irren wir stundenlang durch den Regen, bevor wir begreifen, daß unsere Vergeßlichkeit einmal nicht der Grund ist, weswegen wir das Fahrzeug nicht wiederfinden. – Hat die Polizei uns dann seinen neuen Standort vage mitgeteilt, dauert die weitere Suche mindestens genauso lang. Denn Wrocklages professionelle Schlepperbanden arbeiten Hand in Hand mit einem gefürchteten Kartell aus zehn privaten Hamburger Firmen, die auf Abruf mit Kränen anrücken und das Fahrzeug dann irgendwo am Straßenrand aussetzen: Länger als eine Stunde den Gehweg blockiert, mit dem abgestellten Gefährt einen Stau provoziert oder eine Einfahrt versperrt – es braucht nicht viel, um Opfer irgendeiner Ordnungswidrigkeit zu werden. Denn gegen jede Vorschrift der Straßenverkehrsordnung „gibt es sechs bis zehn Variationen des möglichen Verstoßes“, hat Polizei-Sprecherin Ulrike Sweden freundlicherweise errechnet. Der „Tatbestandskatalog“ umfaßt mehr als 50 Seiten. Wer sich solche Mühe macht, will belohnt werden: 130 bis 190 Mark kassieren die Abschleppfirmen pro Wagen, zusätzlich sind zwischen 30 und 75 Mark Strafgebühren an das Einwohnerzentralamt zu entrichten. Egal, wie groß das Auto oder der Verdienst seines Besitzers – gerecht ist das System nicht. Da ist es fast tröstlich zu erfahren, daß 1994 exakt 37.604 AutobesitzerInnen das gleiche Schicksal in Hamburg ereilt hat. Mehr als 1,8 Millionen strich Wrocklage so ein – andere Senatoren guckten neidisch zu. Natürlich floß das Geld in gute Zwecke wie Kindergärten und Schulen, aber auch sonstige Haushaltslöcher wurden damit gestopft. Was endlich erklärt, warum Hamburg sich sträubt, Anwohnerparken flächendeckend einzuführen bzw. den Autoverkehr ganz zurückzudrängen.
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