: Therapieren oder verwahren
■ Wird die Psychiatrie Ochsenzoll mit Sexualstraftätern fertig? Patienten beklagen mangelnde Angebote und Transparenz Von Silke Mertins
André Kant ist erst 24 Jahre alt. In der Abteilung für psychisch kranke Straftäter – der „forensischen Psychiatrie“ – im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll wird man ihn nicht ewig festhalten können. André hat vergewaltigt und mißhandelt. Doch wie therapiert, wie gefestigt in seinen psychischen Strukturen wird der Persönlichkeitsgestörte sein, wenn man ihn in fünf, acht oder zehn Jahren aus dem „Psycho-Knast“ entläßt?
„Ich dachte die Psychiatrie wäre eine gute Alternative für mich“, sagt André. „Ich wollte meine Straftaten aufarbeiten.“ Jetzt hat er seit fast einem Jahr keine Einzeltherapie mehr. Weil er mit seinem Therapeuten nicht zurechtkam – „zu dem hatte ich kein Vertrauen“ – ist er jetzt sich selbst überlassen.
Seinem Mitpatienten Andreas Peper (27) geht es genauso: Keine Therapie seit Dezember 1994. Weil sich die beiden Anfang des Jahres zusammen mit Dieter Blank und dem inzwischen geflüchteten Thomas Holst für ihre Rechte – garantiert im sogenannten „Maßregelvollzug“ – einsetzten, gab's Ärger. „Vertrauen haben wir nicht mehr, wir möchten gerne mit einem externen Psychologen arbeiten.“
Daß der immer noch flüchtige Holst das 13seitige Beschwerde-Dossier zusammen mit Mitarbeitern von Scientology erstellt hat, „stimmt nicht“, sagen seine Mitpatienten übereinstimmend. Scientology sei gegen Therapie, während die Patientengemeinschaft sich doch gerade „für ein größeres Thererapieangebot einsetzt“. 50 Minuten Einzeltherapie bekommt ein Straftäter in der forensischen Psychiatrie pro Woche – nicht genug, finden die Betroffenen.
„Ohnmacht und Willkürerfahrung können bei Persönlichkeitsgestörten ähnliche Impulse geben, wie die, die zur Tat geführt haben“, erklärt Frank Urbaniok. Der Psychiater weiß, wovon er redet, denn er therapiert Vergewaltiger. „Es gibt eine kleine Gruppe, die nicht therapierbar ist und eine große von Sexualstraftätern, mit denen man etwas tun kann.“ Dazu brauche man ein vielfältiges und differenziertes Therapieangebot: „Man muß eine therapeuthische Atmosphäre schaffen. Therapie bedeutet nicht nur eine schlaue Besprechung in der Woche.“ Der Therapeut brauche eine wohlwollende Sympathie für Täter genauso wie ein Entsetzten über dessen Tat.
Doch statt Erziehung zur Eigenverantwortung wird den Ochsenzoll-Patienten vom Kochen bis Putzen alles abgenommen. „Hier kommt einem jede Selbständigkeit abhanden“, beklagt Andreas. 450 Mark kostet ein Platz pro Tag in der forensischen Psychiatrie; in therapeutische Maßnahmen fließt der größte Teil dieser Summe jedenfalls nicht. Zwei Psychologen-Stellen versorgen 60 Patienten. Drei Assistenzärzte und eine Sozialpädagogin sind nach Angaben der Klinikleitung ebenfalls therapeutisch tätig.
Daß der Klinikaufenthalt „ein Stückchen Unselbständigkeit“ erzeugt“, sieht Klinikleiter Professor Klaus Böhme ebenso ein wie die Tatsache, daß es kaum Therapeuten gibt, die auf persönlichkeitsgestörte Sexualstraftäter spezialisiert sind. Der Anteil an Sexualstraftätern – die man früher einfach nur ins Gefängnis steckte – habe in der forensischen Psychiatrie „enorm zugenommen“. Leider sei das Interesse der psychiatrischen Fachleute nicht in der „gleichen Schnelligkeit gestiegen“.
Transparenz, so Böhme, bedeute für ihn, daß man den Patienten „erreichbare Zwischenschritte anbietet“ und den Behandlungsplan mit dem Betroffenen erörtere. Daß dieses gesetzlich zugesicherte Recht in Ochsenzoll eingehalten wird, bestreiten die Patienten jedoch.
„Was wir hier erleben, ist eine Verwahrung“, meint Dieter Blank. „Wenn man die Resozialisierung nicht ernst meint, wäre die Todesstrafe humaner.“
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