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Philharmonie wird zur Verkehrsinsel

■ Der Tunnelbau zwingt zu Umleitungen und führt zu Staus. Autos umbrausen Konzertsaal bis zur Jahrtausendwende

Wie ein Fels in der Brandung steht sie seit gestern da: die Philharmonie. Sie wird aber nicht von Musik umbraust, sondern von stinkendem Autoverkehr. Seit vergangenen Samstag werfen die geplanten Tunnelgroßbauten in Berlins Mitte ihre Schatten voraus. Das erste Stück der Entlastungsstraße zwischen Tiergarten- und Neue Potsdamer Straße ist gesperrt, weitere Umleitungen werden in Abständen von wenigen Wochen folgen.

Gestern mußte der Verkehrs- irrgarten seine erste Bewährungsprobe bestehen. Schon außerhalb des Berufsverkehrs stauten sich die Autos an den Ampeln des neuralgischen Knotenpunkts am Kemperplatz 100 bis 200 Meter zurück. Dies ließ die Polizei für die frühen Abendstunden bei Redaktionsschluß gar Schlimmes befürchten: „Es wird düster in diesem Bereich“, stöhnte Helmut Meisler vom polizeilichen Verkehrswarndienst.

Das Friedrich-List-Ufer ist schon seit Mitte Oktober gesperrt. Der Verkehr wird um den Lehrter Bahnhof herum zur Invalidenstraße umgeleitet. Autofahrer, die auf ihrer gewohnten Piste von Norden nach Süden über die Entlastungsstraße wollen, werden nun seit vergangenen Samstag an der Tiergartenstraße nach rechts umgeleitet, umkreisen auf der Matthäikirch- und Scharounstraße die Philharmonie und landen dann auf der Neuen Potsdamer Straße. Von Süd nach Nord wird der Verkehr über die Neue Potsdamer Straße auf die Eberstraße in Richtung Straße des 17. Juni umgeleitet. Das nach Norden führende Teilstück der Entlastungsstraße zwischen Tiergartenstraße und Straße des 17. Juni wird in der letzten Novemberwoche gesperrt. Es wird künftig noch diverse weitere Umleitungen geben. Rund um die Philharmonie wird es nach Angaben des Baustellenkoordinators bei der Verkehrsverwaltung, Peter Freidank, bis mindestens Ende 1998 beim jetzigen Zustand bleiben.

Trotz vieler Berichte in den Medien und der wiederholten Aufforderung, auf U- und S-Bahnen umzusteigen, zeigten sich gestern viele Autofahrer über die Sperrung der Entlastungsstraße gänzlich uninformiert. Bereits außerhalb des Berufsverkehrs waren die meisten von ihnen mindestens eine Viertelstunde länger als normal unterwegs. Auch der Pressesprecher des Philharmonischen Orchesters, Helge Grünewald, kam zehn Minuten zu spät zur Arbeit. Die Abonnenten seien zwar schriftlich auf die veränderte Verkehrslange hingewiesen worden, doch stelle man sich schon jetzt auf einen verzögerten Konzertbeginn und Nacheinlaß für die zu spät Kommenden ein. Den Verkehrsexperte von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Cramer, läßt das alles völlig kalt: „Wer im Stau steht, ist doch selbst schuld.“ Der Architekt Hans Scharoun würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, daß aus seiner guten, alten Philharmonie eine ganz banale Verkehrsinsel geworden ist. Plutonia Plarre

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