: Die Freiheit nehm' ich mir
Das Leben war ihm zu anstrengend und schrecklich, also mußte er sich mit Theater ablenken: Becketts Bühnendebüt „Eleutheria“, stellenweise eine Salonkomödie, wurde von ihm nie freigegeben. Nun erscheint es doch ■ Von Jürgen Berger
Abgeschlossen hat er seinen Bühnenerstling Anfang 1947, wenigstens einige Zeit lang will er mehr als eine Schreibtischtat daraus machen. Dann allerdings untersagt er die Veröffentlichung des opulenten Dreiakters. Samuel Beckett ist zu diesem Zeitpunkt 41, zählt gerade noch zur Kategorie „junger Schriftsteller“ und will gar nicht fürs Theater schreiben. Ironie der Geschichte: Die Bühne dankt ihm die mangelnde Wertschätzung und verhilft ihm zum Durchbruch. Anfang der 50er Jahre besorgt Roger Blin die legendäre Uraufführung von „Warten auf Godot“, danach gehen auch für den Romanautor Beckett die Verkaufszahlen in die Höhe.
1947 allerdings ist die Welt durchgehend grau. Er ist deprimiert, leidet an Schleimbeutelentzündungen, Erkältungen und Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit in der Nacht, Mattigkeit am Tage. Sein Romanerstling „Murphy“ ist gerade erschienen, verkauft werden sechs Exemplare. Einige Jahre später sind gerade mal 95 daraus geworden, verständlich also, daß er mit „Eleutheria“ wenigstens ein kleines Erfolgserlebnis ansteuert und das Stück am Theater unterbringen will. Man vergißt das leicht, wenn es heute mit der Verspätung eines halben Jahrhunderts darum geht, ob es überhaupt hätte publiziert werden dürfen. Die Übersetzung des griechischen Titels lautet „Freiheit“. Hätte damals wenigstens ein Theater Interesse gezeigt, könnte man heute frei mit dem Erstling umgehen.
Mit „Eleutheria“, so hat er sich damals mehrfach geäußert, wollte er sich „von den scheußlichen Depressionen befreien“, in die die Prosa ihn gestürzt hatte. Das Leben, so Beckett, sei zu anstrengend und schrecklich, also müsse er sich mit Theater ablenken. Er scheint so entspannt bei der Sache gewesen zu sein, daß man stellenweise meint, in einer gängigen Salonkomödie gelandet zu sein. Verglichen mit „Warten auf Godot“ und „Endspiel“ ist das Stück konventioneller geschrieben. Es spielt nicht im Irgendwo, sondern ist klar lokalisiert. Mit seinen Dialogen löst Beckett sich allerdings bereits von einer traditionellen Fortschrittsdramaturgie mit vorantreibender Handlung: Die Figuren sprechen in Sprachschleifen; kurze Repliken lassen jegliche dramatische Spannung implodieren.
Im ersten Akt trifft sich eine illustre Gesellschaft im Salon der Familie Krap; Familienvater Krap ist Stammvater vieler Beckettfiguren, deutlicher Vorläufer des späteren Tonband-Krapp, und er kann nicht urinieren (die Prostata). Wenn er zu seinem Diener Jacques meint: „Verlasse mich nicht“, hat man es mit jenem Herr- Knecht-Verhältnis zu tun, das Wladimir/Estragon und Hamm/ Clov durchexerzieren werden. Krap will vom Diener noch einmal umarmt werden, bevor er das Zeitliche segnet, was jener für zehn Franc auch professionell exekutiert. Krap ist auch ein Dichter in spe und wird von einer der schrägsten Figuren des Stücks, einem gewissen Dr. Piouk, nach seinem Schriftstellertum gefragt. Es entwickelt sich folgender Dialog: „Dr. Piouk: ,In welchem Genre lagen ihre Präferenzen.‘ Krap: ,Im Scheißgenre.‘ Frau Piouk: ,Tatsächlich?‘ Dr. Piouk: ,In Prosa oder Reimen?‘ Krap: ,Einen Tag das eine, einen Tag das andere.‘“
Von Dr. Piouk übrigens wird an einer Stelle behauptet, er liebe die Menschheit, was der heftig dementiert. Beckett in Reinform, Leidenschaft kommt nur im Dementi auf. Ob er sich denn wenigstens für die Menschheit interessiere, wird Dr. Piouk weiter gefragt. Die Antwort: „Sie läßt mich nicht gleichgültig.“ Wenn die bourgeoise Frau Krap daraufhin vermutet, er sei Kommunist, worauf er kontert, sein Intimleben gehe niemanden etwas an, ist das eine der Stellen, die Beckett später leider gestrichen hätte. Genauso wie das Bekenntnis Kraps, daß er doch besser homosexuell hätte werden sollen.
Virtuell anwesend ist auch Familienfilius Victor, dessen Freiheit im Nichtstun besteht. Becketts Debüt-Belacqua und Variante des verlorenen Sohns liegt auschließlich auf dem Bett und bekommt im zweiten Akt mysteriösen Besuch. Ein Glaser, der eine Scheibe repariert und bleibt, auch wenn die Teegesellschaft sich ratlos um Victors Bett versammelt. Im dritten Akt ruft ein erboster Zuschauer „Aufhören“, springt auf die Bühne und sorgt dafür, daß es weitergeht. Am Ende schläft Victor ein, „den mageren Rücken der Menschheit zugekehrt“.
Das ist der letzte Satz in „Eleutheria“, einem Stück, daß man gemeinhin als „Jugendsünde“ bezeichnet und das Beckett zur Qual der Gemeinde wegschloß. Beckett blieb steinhart, nachdem er sich einmal gegen eine Publikation entschlossen hatte. Daß das Stück jetzt doch auf Französisch, Englisch und im Frühjahr auch auf Deutsch erscheint, ist sensationell bis skandalös und dem Umstand zu danken, daß Becketts amerikanischer Verleger, Barney Rosset, eine englische Übersetzung ankündigte. „Die Freiheit nehm' ich mir“, dachte er sich, was Jérôme Lindon nicht ruhen ließ. Er ist seit Anfang der fünfziger Jahre Becketts französischer Verleger, verwaltet seit sechs Jahren den Nachlaß und kam Rosset mit der Begründung zuvor: Wenn schon, dann müsse das Stück zuerst im Original, also auf Französisch erscheinen. Und auch Rosset ist nicht irgendwer, sondern hat sich ebenfalls seit Anfang der 50er Jahre stark für Beckett im englischsprachigen Raum eingesetzt.
Daß sich im Falle von „Eleutheria“ hinter den Kulissen schon seit einiger Zeit eine mittlere Verlagsschlacht abspielt, verrät das Vorwort der französischen Ausgabe. Dort zieht Lindon gegen Rosset zu Felde und meint, der habe nach Becketts Tod im Dezember 1989 stark auf eine Publikation gedrängt und sogar behauptet, Beckett habe sich ihm gegenüber schriftlich dafür ausgesprochen. Allerdings, so Lindon süffisant, sei dieses Dokument von Rosset nie vorgelegt worden und existiere wohl nur in dessen Phantasie. Seine Befürchtung, „Eleutheria“ werde nach dieser eher unappetitlichen editorischen Vorgeschichte nicht als „literarischer Text, sondern als Skandalobjekt“ wahrgenommen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Umso erstaunlicher, daß er die Publikation des französischen Textes damit begründet, „das moralische Recht des Autors“ zu wahren.
Lindon gilt als äußerst gestrenger Nachlaßverwalter und hätte vermutlich die englische Publikation verhindern können. Er selbst meint, er habe von juristischen Schritten abgesehen, um nicht als Zensor dazustehen. Äußerst fraglich ist bei allem Gerangel auch, ob das Stück tatsächlich dort ankommt, wo es hingehört: auf der Bühne.
Das hängt allein von Lindon ab, und der ist jetzt in einer zwiespältigen Situation. Einerseits würde man ihm im Falle einer Aufführungsgenehmigung die Rolle des sauberen Nachlaßwächters auf gar keinen Fall mehr abnehmen. Andererseits ist ein Theaterstück, das nur auf dem Papier existieren darf, ein Unding. Eigentlich kann Lindon nicht den Deckel vom Topf nehmen und alle schnuppern lassen, um dann den Hardliner zu mimen; ganz davon abgesehen, daß bei Inszenierungen von „Eleutheria“ auch die Kassen seiner Editions de Minuit klingeln.
Hans-Jürgen Drescher, Leiter des Suhrkamp Theaterverlags, sagt, viele Theater hätten bereits angefragt und namhafte Regisseure großes Interesse bekundet. Es dürfte auch in seinem Interesse liegen, daß Lindon mit den Aufführungsrechten nicht allzulange hinterm Berg hält. Vorerst allerdings wird der Text, den Simon Werle gerade übersetzt, nicht im Theaterverlag, sondern als Suhrkamp-Leseband erscheinen. Sollte das Stück irgendwann tatsächlich auf der Bühne zu sehen sein, wird man Becketts Publikationsverbot nachvollziehen können, aber auch auf funkelnde Stellen stoßen, die allein schon eine Aufführung rechtfertigen. Beckett gestattete sich noch existentialistisches Pathos, es weht aber auch schon die Kühle jener Ortlosigkeit durch die Dialoge, die sein Markenzeichen werden soll. Das Stück ist konventioneller, gleichzeitig aber auch spielerischer als alles, was er später schrieb; und Beckett nimmt sich als Theaterautor noch nicht so ernst, was sich für viele, die immer noch im Banne seiner Regieanweisungen in Beckettstarre verharren, als wahre Entkrampfungstherapie erweisen könnte.
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