piwik no script img

Die Rechte duckt sich, bis der Sturm vorüber ist

■ In den Westbank-Siedlungen wurde die Atmosphäre geschaffen, die den Mord an Israels Premier Rabin ermöglichte: Eine beängstigende Ansammlung religiöser Rechter freut sich leise über seinen

Die Rechte duckt sich, bis der Sturm vorüber ist

Das Profil der Figur ist von Haß gezeichnet. Aus der herausgestreckten Zunge schießen zwei Patronen. Die Karikatur in der israelischen Tageszeitung Jediot Ahranot läßt keinen Zweifel daran, wen die Zeitung für den Mord am israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin verantwortlich macht: Es waren jene finsteren Figuren aus der äußersten rechten Ecke des israelischen politischen Spektrums, die seit dem Osloer Abkommen mit den Palästinensern Rabin als einen Verräter an der jüdischen Sache gebrandmarkt haben. Auch jene fundamentalistischen Rabbiner, die den ermordeten Ministerpräsidenten als Häretiker, einen Verräter des Glaubens, anprangerten, waren die Wegbereiter für eine Atmosphäre, in der der Mörder Rabins seine Tat schließlich als religiöse Pflicht ansah.

Die israelische Westbank-Siedlung Kiryat Arba, einen provokativen Steinwurf von der palästinensischen Stadt Hebron entfernt, ist eine beängstigende Ansammlung dieser religiösen Rechten. Unter den 4.000 Einwohnern sind sie eine solide Gruppe. Schwer bewacht, hoch umzäunt und burgähnlich leben sie hier freiwillig zwischen der Hebroner Mehrheit von über 100.000 Palästinensern.

Hier liegt das Grab des in den USA geborenen Baruch Goldstein, der vor fast zwei Jahren 29 Palästinenser in einer Moschee in Hebron niedergemetzelt hatte, bevor er selber von den Überlebenden erschlagen wurde. Am Grab ihres Helden hatten sich nach der Ermordung Rabins einige wenige versammelt, um ihre Freude zum Ausdruck zu bringen.

„Er gab seine Seele den Menschen in Israel, für ihr Land und ihren Glauben, mit reiner Hand und reinem Herzen, möge seine Seele in Frieden ruhen“, heißt es auf der in den Boden eingelassenen Grabplatte aus Marmor, die nicht viel kleiner ist als die des vor zwei Tagen begrabenen Rabin. Die installierten Lampen lassen das Grab auch nachts in aller Pracht erleuchten. An diesem Morgen betet nur ein einsamer Mann am Grab seines Helden. Zu Rabins Ermordung habe er gegenüber Nichtjuden jetzt nichts zu sagen, erklärt er den angereisten Journalisten. Schließlich habe er sechs Kinder und wolle nicht im Gefängnis landen.

„Die Atmosphäre, in der der Mörder Rabins aktiv geworden ist, wurde in den Siedlungen der Westbank geschaffen“, analysiert Ehud Springzak, Experte für die extreme Rechte und Professor an der Hebräischen Universität. „Es gab einen klaren Prozeß. Rabin wurde zum Freiwild, und das Ganze begann in Kiryat Arba“, setzt er fort.

Israels religiöse Rechte ist nach der Ermordung Rabins vorsichtig geworden. Autoaufkleber, die von dem „Verräter Rabin“ sprachen, verschwanden über Nacht. Man duckt sich, bis der Sturm vorüber ist. Mehr und mehr Israelis fordern nun, mit eiserner Faust gegen die extreme Rechte vorzugehen. Ehemalige Offiziere des internen israelischen Geheimdienstes Schabak, wie Jossi Genosar, fordern Vorbeugehaft für die rechten Hetzer. Es ist, als sei man über Nacht aufgewacht. „Nun ist es möglich, sie zu isolieren, weil die Menschen jetzt die Schwere des Problems verstehen“, sagt Israel Schahak, ein Jerusalemer Experte für die religiöse Rechte. „Aber“, schränkt er ein, „Schocks dauern nicht länger als ein, zwei Monate. Wenn die Chance nicht genutzt wird, werden sie wieder herauskommen.“

In Kiryat Arba will an diesem Morgen jedenfalls niemand öffentlich den Mord an Rabin gutheißen. Nur der Fingerzeig geht in eine andere Richtung. „Wir sind von innen bedroht. Der Mörder Rabins fühlte sich hilflos und dachte, er könne nichts anderes tun, um den Friedensprozeß zu stoppen“, erklärt um Verständnis ringend eine der Aktivistinnen im Kiryat Arba, Rachel Kline. Auch einer der Sprecher der schwerbewachten 450köpfigen Siedlergemeinde mitten im Zentrum Hebrons, Nuam Arnon, gibt sich jetzt vorsichtig, nachdem die Polizei gegen einen anderen Sprecher der Gemeinde Ermittlungen wegen Anstiftung zum Mord aufgenommen hat. Dieser hatte am Montag im israelischen Fernsehen erklärt, er hoffe, „daß der Nazi Arafat und sein Freund Peres auf dieselbe Weise sterben wie Rabin“. Monoton und emotionslos spult Nuam Arnon seine einstudierte Erklärung ab. Er verdamme den Mord an Rabin, und von organisatorischen Verbindungen des Mörders wisse er nichts. Aber, so fügt er hinzu, „es ist die linke Regierung, die mit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens für die Spaltung der jüdischen Gemeinde verantwortlich“ sei. Unausgesprochenes Fazit: Rabin ist selbst an seienr Ermordung schuld.

Für die Siedler-Aktivistin Kline sind es die Linken, die seit der israelischen Invasion im Libanon 1982 begannen, eine Atmosphäre der Gewalt zu erzeugen. „Damals nannten sie den Regierungschef Menachem Begin einen Mörder“, erklärt sie empört.

Wo die tatsächlichen Sympathien vieler in Kiryat Arba liegen, wird klar aus den Plakaten, die am zentralen Markt der Siedlung aufgehängt wurden. Sie rufen zu einer Jubiläumsfeier zum Tode Rabbi Meir Kahanes auf. In fünf Tagen ist es fünf Jahre her, daß der radikale Guru der religiösen Kach-Bewegung und Araberfresser Rabbi Meir Kahane in New York erschossen wurde. Die letzten Untersuchungen über den Mord an Rabin deuten in Richtung Kahanes Gruppe.

Bei den letzten Parlamentswahlen vor drei Jahren bekamen die vier nichtreligiösen säkularen Parteien landesweit 80 Prozent der Stimmen. In Kiryat Arba kamen sie auf weniger als 4 Prozent. Der Spezialist des jüdischen Fundamentalismus, Israel Schahak schätzt, daß 10 bis 12 Prozent der jüdischen Israelis heute den extremen religiösen Organisationen nahestehen. Der wahre Kampf seit Oslo, sagt Schahak, findet zwischen säkularen und politisch-religiösen Israelis statt. Die rechte säkulare Likud-Partei war in Fragen der Sicherheit mit der Arbeitspartei Rabins uneins. Der Streit zwischen der Arbeitspartei und den Religiösen aber dreht sich, so Schahak, rein um Symbole. Sie fordern die Einführung des religiösen Staates, dem sich alle Israelis unterzuordnen haben.

Die einzige Lösung sei es, die Überlegenheit des säkularen Staates durchzusetzen, meint Schahak. Für ihn kam die Ermordung Rabins nicht überraschend. Die Presse diskutierte seit Monaten die Erklärungen einzelner radikaler Rabiner, wonach der israelische Ministerpräsident ein Häretiker, ein vom Judentum Abgefallener, sei. Laut einigen Interpretationen des religiösen jüdischen Gesetzes ist die Ermordung eines Häretikers kein Mord, solange sie der jüdischen Gemeinde dienlich ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen