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Spaßdemo der Multikulti-Jecken

■ 35 Initiativen planen einen „Karneval der Kulturen“

Karneval in Berlin? Ick gloob, ick spinne! Weit gefehlt – sogar die Neuköllner Sektion des Deutschen Roten Kreuzes will teilnehmen am „Karneval der Kulturen“ im Mai nächsten Jahres. Mittlerweile unterstützen rund 35 Gruppen die Initiative der „Werkstatt der Kulturen“ in Neukölln. Leuchtendes Vorbild der Berliner Multikulti- Jecken ist der Londoner Notting Hill Carnival, der jedes Jahr zwei Millionen Spaß- und Protestwütige auf die Straße treibt. Daß sich die Londoner Verhältnisse auf Berlin übertragen lassen, wird auch von den hiesigen Initiatoren bezweifelt. Aber nach einem gescheiterten Versuch eines deutschen Karnevalvereins, in Berlin gute Stimmung auf der Straße zu erzeugen – dabei wollten sogar BVG-Busfahrer Bonbons in die Menge werfen –, will man nun den Anfang wagen. UFA-Fabrik-Hundehalter Juppi Becher brachte es bei einem Pressefrühstück in der Kulturbrauerei so auf den Punkt: „Natürlich wird auch 'ne Blaskapelle dabeisein, aber jeder weiß, daß es für die Deutschen sehr schwer ist, Traditionen auf die Straße zu bringen. Deshalb sind wir froh, daß wir Anleihen bei Ländern machen können, die wir sonst schon ressourcenmäßig ausgebeutet haben.“ Aber auch Juppi ist dafür, „daß wir nicht Brasilianer nachmachen“. Die UFA-Sambagruppe nimmt auf jeden Fall teil.

Friedrich Voß, Wellenchef von SFB4 MultiKulti, wies darauf hin, daß Berlin weder Köln noch London und schon gar nicht Rio ist. „In Notting Hill ist das ein Lebensgefühl, bei uns Karneval im Kopf.“ SFB4 unterstützt die Idee, aber bislang will man sich nicht deutlich engagieren. Das wird sich vielleicht ändern, wenn die faszinierende Vorstellung Realität wird, am Himmelfahrtstag 96 einmal nicht nur betrunkene „Väter“ über die Straße torkeln zu sehen, sondern eine Spaßdemo zwischen Kreuzberg und Neukölln mit badischen TrachtenträgerInnen, Maskenmenschen aus Peru, Soundsystems, türkischem Theater, Percussion aus Uganda... Ideen werden noch entgegengenommen. Andreas Freudenberg von der Werkstatt der Kulturen, der die Karnevalsidee entwickelte: „Mehrere Berliner Karnevalsvereine wollen mitmachen.“ Aber vor allem freut er sich über die Initiative diverser kulturell unterschiedlichster Gruppen. Auch türkische Jugendliche wollen mittanzen, obwohl oder gerade weil die Türkei keine eigene Karnevalstradition besitzt.

Die Finanzierung ist noch weitgehend ungeklärt. Der Neuköllner Noch-Bürgermeister Hans-Dieter Mey unterstützt den Karneval, hat aber kein Geld. Lottomittel sind beantragt. Erste Feierversuche unternimmt man bereits an diesem Wochenende mit zwei Partys. Helau! Andreas Becker

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