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Das Eismeer rauscht im Kopf

Isolationshaft als Chill-out-Zone: Das Künstler-Duo Rob Moonen und Olaf Arndt hat die schalldichte Kammer aus der Eppendorfer Psychiatrie in Berlins Parochialkirche rekonstruiert  ■ Von Harald Fricke

Wenn man von den bekannten Filmdokumentationen absieht, ist die künstlerische Beschäftigung mit dem Baader-Meinhof-Komplex chimärenhaft. Alles, was Malerei, Skulptur oder Happening aus der Zeit der RAF festgehalten haben, ist in einer nebligen Zone angesiedelt – mythisch und zugleich mit Argwohn gegenüber dem Abgebildeten beladen. Es spiegelt eine gewisse Konfusion wider, zwischen Opfern und Tätern nicht unterscheiden zu können. Deutschland im Herbst blieb in der Kunst auf Gesten reduziert. Joseph Beuys fiel kaum mehr ein als der solidarische Vorschlag, Ulrike Meinhof durch die documenta 1977 zu führen, und Klaus Staeck klebte damals bereits lieber Plakate in Sachen Brokdorf oder Strauß. Selbst Gerhard Richter mag seine in Öl gemalten Stammheim-Porträts von 1988 nur unter Ausklammerung der Geschehnisse erklären, wenn er von der „Allgemeingültigkeit ihrer Aussagen“ spricht, die sich bloß „im Kunstkontext entfalten kann“ (taz, 28. 10. 95). Daß ein amerikanisches Museum wie das MoMA trotzdem drei Millionen für diese Bilder gezahlt hat, macht sie zu einem Reiz-Objekt unter historischer Patina; oder schlimmer noch, wie Peter Herbstreuth in der Zeitschrift neue bildende kunst schrieb, zu einem Gegenstand von „nationalem Interesse“.

Auch das niederländisch-deutsche Künstler-Duo Rob Moonen und Olaf Arndt stellt in der Installation „Camera Silens“ eine äußerst vage Verbindung zur Geschichte her: Das Ganze wird vor dem Kirchenaltar abgeladen. Ein einzelner brauner Klotz, fünf Meter hoch und ebenso breit, steht im Zentrum der baufälligen Parochialkirche nahe dem Alexanderplatz. Klassisch modern, minimal- artig auf die Form reduziert und architektonisch korrekt mitten im Kirchenschiff postiert, verlängert der Kasten aus lackierten Holzplatten und geschliffenen Stahlträgern die Längsachse eines konstruktivistisch zusammengebastelten Kreuzes in den Raum hinein. Es scheint unter der Kuppel und über der Kammer zu schweben.

Eine Treppe führt von der hinteren Seite zum Eingang der „Camera Silens“. Durch eine Tür kann man den kleinen Raum betreten, in dem ein Zahnarztsessel aus Schweinsleder steht. Man darf die Tür hinter sich schließen, Platz nehmen, und dann ist Stille, mehr noch als draußen in der Kirche. Die Wände sind rundum mit hellgelben Schaumstoff-Trichtern ausgekleidet, deren verschachtelte op- artige Geometrie ein Flimmern vor den Augen erzeugt. Man fühlt sich wie in C. D. Friedrichs „Eismeer“, eingesperrt in eine romantische Maschine, die Ich und Nicht- Ich kaum zu trennen vermag.

Über die im ersten Moment angenehme Ruhe legt sich allmählich ein merkwürdiges Fiepen, kaum wahrnehmbar, das von Minute zu Minute stärker anschwillt. Doch das Geräusch hat keine Quelle, der Kasten ist absolut schalldicht. Es kommt aus dem eigenen Ohr, das sich gegen die Stille zu wehren versucht und permanent Feedback produziert. Nach einiger Zeit setzt das Gleichgewicht aus, weil das Rauschen im Kopf alle anderen Sinne blockiert. Der surrende Ton steigert sich jetzt sehr rasch bis ins Unerträgliche, die ganze Kammer scheint unter seinem Einfluß zu vibrieren. Man fährt wie im Fahrstuhl und bewegt sich doch keinen Zentimeter von der Stelle. Es ist die Hölle. Was von außen samt entsprechendem Beichtstuhl wie ein Raum der Sammlung und Kontemplation wirkt, entpuppt sich als zeitgenössische Folterkammer. Sie erzeugt einen Zustand sensorischer Deprivation, bei dem der Wahrnehmung jede Art von Reiz entzogen wird. Als Reaktion entstehen Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Seit Stammheim firmiert die Apparatur unter dem Namen Isolationshaft. Denn während man die Box von Moonen und Arndt nach Belieben wieder verlassen kann, wurden RAF-Mitglieder in einer solchen Zelle für Monate inhaftiert. Auch Ulrike Meinhof, die ihren Anwälten 1973 schrieb: „Das Gefühl, sich in einem Vakuum zu befinden, als sei man in Blei eingeschlossen.“

Die stille Kammer war zunächst nicht als ein Instrument zur Mißhandlung von Gefangenen gedacht. 1970 wurde ein solcher Raum erstmals am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im Rahmen eines Sonderprojektes der Psychiatrischen und Nervenklinik getestet. Die Ärzte versprachen sich davon eine genauere Auswertung in der Verhaltensforschung: Wie reagiert ein Patient auf totale Vereinzelung? Die romantische Idee der unendlichen Verdoppelung des Ichs, hier sollte sie sich selbst von innen nach außen kehren, um so dem isolierten Individuum seine Wünsche und Triebe vor Augen zu führen, getreu dem Glauben, daß der Skorpion allein den Skorpion heilt – als wäre ein jeder seines eigenen Glückes Trauma.

Doch der Versuch schlug fehl: Aus dem rein physischen Entzug von Reizen ließen sich keine Rückschlüsse auf irgendeine Art psychischer Belastung ziehen. Im Gegenteil, der Patient geriet in der stillen Kammer mehr und mehr auf Distanz zu seinen Wünschen: „Weiterer Verlauf dann ungefähr wie bei einer gedämpften Schwingung, hab mich praktisch im Lauf der Zeit auf den Nullpunkt zurückgeschaltet. Ganz grob ausgedrückt: Ich freu mich über nichts mehr, dafür stimmt mich auch nichts mehr traurig. Um das mit dem Nullpunkt zu differenzieren: eine Art leichter Schizophrenie, wobei ich auf dem Zaun in der Mitte sitze und gleichzeitig nach beiden Seiten schauen kann; auf der einen Seite des Zaunes wechseln zwar noch gewisse Emotionen, Stimmungen, aber wenn's kritisch wird, kann ich mich jederzeit auf die andere, ruhigere Seite zurückziehen und von dort aus unbeteiligt zusehen.“

Dieses Protokoll ist eines der im Katalog gehäuften Beispiele, mit denen Moonen und Arndt ihre Rekonstruktion der Maschine aus nichts begleiten. In der Ausstellung, die gemeinsam mit der Berliner NGBK realisiert wurde, erscheint die Drohung dessen, was da verlorengehen kann, allerdings weitgehend ausgeblendet. Zurück bleibt eine Kammer, deren überwachungstechnischer Zusammenhang von frühen Gefängnissen des 19. Jahrhunderts über Foucaults Analysen bis zu Florian Rötzers auf Medienebene vollzogener Parallele zwischen High-Tech und Trance reicht. Am Ende ist der Knast ein Stück Freizeitkultur am Rande von Techno, und dort ist halt jeder für sich allein. Aber das ist alles nur Textarbeit an der Erinnerung, die die Maschine innerhalb weniger Minuten in Fiepen auflösen kann. Was übrigbleibt ist der besagte Nebel über den Dächern von Stammheim.

Camera Silens, bis 24. 11., in der Parochialkirche, Berlin. Katalog, 200 S., 48 DM.

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