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Kein Melodram

■ betr.: „Leipziger Allerlei“, taz vom 25. 10. 95

Wenn ein Rezensent erstens keine tragende Idee für seine Rezension findet und zweitens die ehrliche Auseinandersetzung mit Ereignissen jüngster Geschichte – aus welchen Gründen auch immer – vermeiden will, dann kommt eine solche Mischung zwischen ignoranter Oberflächlichkeit und zeilenschindender Einfallslosigkeit heraus, wie sie Manfred Riepe vorgelegt hat.

Es ist eine Binsenweisheit, daß heute jedes politische Ereignis durch die ständige Medienpräsenz in seiner Wirkung entweder vertieft oder aber verflacht, immer aber verändert wird. Daß dies auch bei den Leipziger Montagsdemos so war, ist unbestritten und muß in die politische Analyse eingehen.

Daran aber und nur daran, daß der Film von Frank Beyer dies nicht zum, wie der Rezensent fordert, dominanten Gegenstand der Darstellung macht, den Film zu messen, zeugt von Arroganz und historischer Blindheit. Offenbar weiß der ja offenbar nicht dabei gewesene Rezensent ganz genau, woran das System der DDR zerbrach, nämlich einzig und allein am Westfernsehen. Und diese seine fulminante Erkenntnis wird zum einzigen Maßstab des Films und der Montagsdemos gleich mit. Dies aber wird durch die mehrmalige Wiederholung auch nicht wahrer!

Mag der Film auch künstlerische Schwächen haben, die damaligen Ereignisse stellt er – jedenfalls aus der Sicht daran Beteiligter – authentisch und bewegend dar. Denn da war Emphase, zum Beispiel bei der letzten Kerzendemo vor Weihnachten 1989, bei der es noch keine nationalistischen Töne gab, und da war Selbstbestimmtheit von Menschen, die bis dahin den Mut zum Widerstand nicht gefunden hatten.

Wenn es einem selbst nicht vergönnt war, in seinem politischen Leben dies einmal – wenn auch nur für einen kurzen historischen Moment – gemeinsam mit anderen empfunden zu haben, ist das noch kein Grund, einen Film, der dies darzustellen versucht, in billiger Überheblichkeit als Melodram abzutun. Jutta Duclaud, Leipzig/Berlin

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