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Siegerist hockt im Parlament auf der Wartebank

■ Lettischer Staatspräsident erteilt einem Minderheitsblock den Regierungsauftrag

Riga (taz) – Als Joachaim Siegerist am Dienstag mittag das lettische Parlament in Riga betrat, hatte er Blumen in den Händen. Die hatten ihm zwei alte Frauchen vor der Tür zugesteckt, ihn umarmt und gesagt „wir beten für Sie“. Siegerists gute Laune hielt bei dieser ersten Sitzung des neugewählten Parlaments fünf lange Stunden an. Dann, am frühen Abend, kam der Schock.

Denn Staatspräsident Guntis Ulmanis bestimmte keinen Vertreter des Mehrheitsblocks im Parlament zum Ministerpräsidenten, sondern Maris Grinblats von der Partei „Vaterland und Freiheit“. Diese ultrakonservative Partei erhielt bei den Wahlen im Oktober 11,6 Prozent. Im Parlament verfügt sie über 14 Sitze. Mit den bisherigen drei konservativen Regierungsparteien bildet sie einen „Nationalen Block“, der gerade über 46 Mandate verfügt. Der Staatspräsident erteilte also einer Minderheitskoalition den Auftrag zur Regierungsbildung, wohl wissend, daß sie scheitern wird. Denn Grinblats muß von den Abgeordneten bestätigt werden. Diesen Segen wird er nicht bekommen.

Denn eine Mehrheit hat in dieser 6. Saeima das abenteuerliche links-, rechts-, linksliberale, neureich-kapitalistische Bündnis, der sogenannte „Nationale Versöhnungsblock“. Dieser Block aus vier Parteien, in dem die rechtspopulistische „Zigeristi“-Bewegung „Pro Lettland“ mit 16 Mandaten ein wichtiges Wort mitzureden hat, besitzt rein rechnerisch zwar nur ein Mandat mehr als die Konkurrenten, nämlich 47. Er wird aber im Prinzip von den fünf Abgeordneten der orthodoxen Sozialistischen Partei unterstützt. Vorausgesetzt, ihr Oberhaupt Alfred Rubics wird von einer „Versöhnungsblockregierung“ aus dem Gefängnis entlassen, wo er wegen „Verrat am lettischen Volk“ seit 1991 einsitzt.

Daß Staatspräsident Guntis Ulmanis nicht den „Versöhnlern“, sondern den „Nationalen“ den Regierungsauftrag erteilen würde, stand seit Montag morgen fest. In einer Rede anläßlich der Trauerfeierlichkeiten für Jitzhak Rabin in Jerusalem erklärte er, daß er niemals Joachim Siegerist sowie einen Odyseuss Kostanda in einem Kabinett tolerieren könne. Siegerist sei ein „Extremist“ und seine Ansichten „bedrohlich“ für Lettland. Das gleiche sagte er über Kostanda, der wegen Handgreiflichkeiten gegen Abgeordnete aus seiner vorigen Partei, der LNNK, herausgeflogen war und jetzt nach Siegerist der zweite starke Mann bei „Pro-Lettland“ ist. Kostanda soll in einer „Nationalen Versöhnungsblock“- Regierung Verteidungsminister werden. Solche Pointen liefert nur die Wirklichkeit. Für die politische Karriere des Vorsitzenden der „Deutschen Konservativen e. V.“, Joachim Siegerist, bedeutet die Entscheidung für Grinblats noch lange nicht das politische Aus. Abzusehen ist, daß Grinblats keine Mehrheit für sein Regierungsprogramm zusammenbekommt. Seine Ankündigung, daß er per Volksabstimmung das geltende, selbst vom Europäischen Parlament gelobte Staatsbürgergesetz abschaffen will, verstört selbst seine Mitstreiter im „Nationalen Block“.

Wenn Grinblats scheitert, müßte der Staatspräsident laut Verfassung einem anderen Kandidaten den Auftrag erteilen. Zur Stelle ist Ziedonis Cervers, dessen „Demokratische Partei – Saimnieks“ („Hausherr“) mit 18 Mandaten die stärkste Fraktion im Parlament bildet und der Listenführer des „Nationalen Verständigungsblockes“ ist.

Cervers ist ebenfalls eine sehr schillernde Figur. Nachdem er in der Sowjetzeit als 1. Sekretär der Komsomolzen der Stadt Riga, dann als Politfunktionär in der Kaderabteilung der Miliz Karriere gemacht hatte, wurde er in der Volksfront-Regierung Innenminister. Jetzt verkauft er gegen eine Gebühr von etwa 5.000 Dollar pro Jahr privaten Unternehmern Schutz gegen die Mafia. In einer „Versöhnungs“-Regierung will er Innenminister sein. Auch dies hat Lettland nicht verdient.

Daß der „Nationale Verständigungsblock“ Cervers' und Siegerists gute Chancen hat, doch noch ans Ruder zu kommen, bewiesen gestern die Wahlen für das Parlamentspräsidium. Parlamentspräsidentin wurde Ilga Kreituse von „Saimnieks“, zur gleichen Partei gehört auch ihr Stellvertreter Alfreds Cepans. Ein Tohowabuhu entstand, als ein Abgeordneter der Siegerist-Partei nicht die erforderliche Mehrheit von 51 Stimmen für den vorab ausgekungelten Sekretärsposten erhielt. Siegerist erblaßte sichtlich. Nach einer von seiner Partei beantragten halbstündigen Auszeit stand der Versöhnungsblock wieder da wie ein Mann. Die fünf Sozialisten bissen die Zähne zusammen und wählten die Siegerist-Kandidatin mit. So einhellig, wie es sich in Zukunft gehört. Anita Kugler

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